Sie nehmen uns die Wohnungen, mit denen sie spekulieren. Sie nehmen uns die sozialen Orte und den öffentlichen Raum. Nur wer gut konsumiert, ist dort noch gern gesehen. Unsere Viertel wandeln sich in Rückzugsgebiete für Wohlhabende. Noch vor Jahren hätten sich diese verächtlich über Neukölln geäußert, nun ziehen ihre Kinder in unsere Kieze, zum Teil in Eigentumswohnungen. Seitdem der Flughafen geschlossen und das Tempelhofer Feld geöffnet wurde, ist der angrenzende Schillerkiez für junge Leute aus aller Welt attraktiv geworden. Die Infrastruktur hat sich gewandelt, neue Restaurants, Läden für Betuchte sind dazu gekommen. Die alteingesessene Kneipe „Syndikat“ dagegen wurde geräumt und steht seitdem leer. Das „Schillers“ mit geringen Preisen ist geschlossen, seitdem der Kneipenwirt verstorben ist. Die Mieten steigen kontinuierlich, was vor allem für die alteingesessenen Bewohner*innen problematisch ist. Nicht nur die Mieten, auch die Preise in vielen Läden steigen. Und das auch im Umfeld des Schillerkiezes.
Abzocker I: Die Hasenschänke
Diese wurde 1952 in der Hasenheide erbaut und dient seitdem als Imbiss. Vor kurzem wurden dort neue Aufkleber an den Tischen angebracht.
Eine empörte Nachbarin schreibt:
„Anfang der 1970iger Jahre habe ich ein paar Jahre in Neukölln gewohnt und Anfang der 1980iger Jahre am Rande von Kreuzberg zu Neukölln. Wenn ich seinerzeit mit Freunden oder später mit meiner Tochter und Freunden in die Hasenheide gegangen bin, war immer ein Besuch in der Hasenschänke mit eingeplant.
An einen Verzehrzwang kann ich mich nicht erinnern.
Die Hasenschänke war ein Ausflugslokal. Dort konnten die mitgebrachten Stullen verzehrt werden oder es gab heißes Wasser für den Kaffee, den man sich zum Aufbrühen mitgebracht hat.
Gekauft wurde an der Bude das, was man noch dazu wollte. Etwa eine Brause, Bier oder was man sich mal so gönnen wollte. Herva mit Mosel war seinerzeit schwer in Mode. Ein Eis fürs Kind oder die Kinder. Vielleicht auch ein Würstchen, Kartoffelsalat oder was halt im Angebot war.
Seit den Nullerjahren lebe ich wieder in Neukölln, im Schillerkiez.
Der Kiez ist in der Zwischenzeit unbezahlbar geworden. Entsprechend sind die Lokale und Restaurants, die neu aufmachen, auch ausgelegt. Unbezahlbar für Menschen mit niedrigem Einkommen, für Menschen, die schon lange hier leben. Und so hat sich leider auch die Hasenschänke entwickelt. Zu einem Ausflugslokal mit Apothekerpreisen. Zu einem Habitus wie im Borcherts.
Ja spinn ich oder was? Nun auch noch solche Aufkleber auf den Tischen.
Kommt mal runter Leute und macht nicht jeden Scheiß hier mit.
Vielleicht machen wir mal eine Aktion mit Vielen und lassen uns die Stullen an den Tischen schmecken!“
Abzocker II: Terz
Das Cafe Selig an der Genezarethkirche am Herrfurthplatz im Schillerkiez wurde im November 2020 geschlossen.
In der Berliner Zeitung vom 27.1.2021 wurde ein neues Konzept für das Cafe verkündet:
„Und auch das neue Café soll mehr bieten als Speisen, Getränke und Ambiente. „Wir werden den Raum öffnen für Menschen, die keine kommerziellen Interessen verfolgen“, verspricht Stüer (ein neuer Geschäftsführer). Ein Partner dabei wird ihre Vermieterin sein, die Diakonie. „Wir werden ihre Arbeit unterstützen mit Aktionen und Veranstaltungen“, sagt Stüer. Auch für Lesungen und Vorstellungen soll der Raum dienen. Einer, der bereits Feuer und Flamme ist für das Projekt, ist Thomas de Vachroi. Berlinweit bekannt wurde er als Leiter der Flüchtlingsunterkunft im Rathaus Wilmersdorf, heute ist er Armutsbeauftragter für Neukölln beim Diakoniewerk Simeon und wird in Kürze ein Büro in der Genezarethkirche beziehen. Er hofft, dass das Café offen sein wird für Menschen, die sich sonst nie begegnen – nicht nur das typische Herrfurthstraßen-Publikum, sondern auch Arme, Alte, Obdachlose. „Ein Spiegel der Gesellschaft“, sagt er. Aber einer, in dem nicht nur jeder sich selbst erkenne. Dieses Angebot wäre tatsächlich ziemlich exklusiv, in Neukölln und weit darüber hinaus.“
Soweit die Pläne, die Realität sieht so aus. Im neuen Cafe „Terz“ (https://terz.berlin/ ) gibt es nun „Stullen“ für 6 bis 7,50 Euro: ( siehe Screenshot von https://terz.berlin/menu/speisekarte.pdf)
Das ist wirklich ein „Spiegel der Gesellschaft“. Einkommensarme werden sich diese „Stullen“ wohl nicht leisten können. Seid ihr eigentlich Stulle?