Krieg ist Frieden

– Vertreibung heißt Verbesserung

Wie die kritische Arbeit im Kiez verunglimpft und die Welt dabei auf dem Kopf gestellt wird.

Begriffe werden von den Herrschenden bestimmt. Das ist nichts Neues. Und dass die bürgerlichen Medien zu deren Verbreitung dienen, auch nicht. Wie sich das allerdings im Einzelnen äußert, kann dann doch immer wieder erstaunlich sein.

Die mediale Hetze gegen die Menschen, die sich im Schillerkiez gegen Umstrukturierung und Vertreibungspolitik wehren, zeigt besonders eines ganz deutlich: Die Herrschenden sind vor allem an einer Befriedung der Kieze und der Ausweitung von Kontrolle interessiert, und nicht daran, die Situation der von Armut betroffenen Menschen zu ändern. Fritz Felgentreu (Kreisvorsitzender der SPD Neukölln, Mitglied im Bundeswehrverband, im Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung und im Ausschuss für Verfassungsschutz) und sein offener Weihnachtsbrief mit dem Titel „…und Frieden auf Erden“, der als Unterstützung des QMs geplant war, und als „Kriegserklärung“ an die kritischen widerständischen Menschen im Schillerkiez verstanden werden muss, steht beispielhaft für die derzeitig stattfindende reaktionäre Kampagne. Er schreibt, bei den aktiven KiezbewohnerInnen bestehe „zumindest eine geistige Nähe zu denjenigen, die seit Monaten in Berlin Brandanschläge auf Autos verüben.“ Dabei hätten „Diskussionsveranstaltungen zur Gentrifizierung und [der] Umgang mit sozialen Problemen in der Okerstraße […] bisher keine nachhaltig befriedende Wirkung“ gehabt. Dieses Zitat bringt zwei wichtige Dinge zum Ausdruck. Zum Einen wird eine Beziehung zwischen den Menschen im Schillerkiez und den anonymen AutobrandstifterInnen erfunden mit dem klaren Ziel, den Widerstand zu verteufeln. Ohne zu erklären, worin die „geistige Nähe“ besteht, wird eine Stimmung erzeugt und der Phantasie dabei Tür und Tor geöffnet. Der zweite interessante Punkt ist die Funktion, die Felgentreu in der Veranstaltung in der Genezarethkirche sieht. Ihn interessiert lediglich, ob eine „befriedende Wirkung“ erzielt wurde, oder anders ausgedrückt, ob die Leute endlich ihre Schnauze halten. Es gibt eine ganze Reihe ähnlich abwegiger Aussagen von PolitikerInnen und JournalistInnen, denen ein Unterton gemeinsam ist: Linksradikale oder Autonome, die vor allem von „außerhalb“ kommen, wollen Verbesserungen im Kiez verhindern. Sie beeinflussen dafür die AnwohnerInnen, denen im Gegenzug abgesprochen wird, selbständig denken und entscheiden zu können.

„Linksautonome wollen Verbesserungen im Schillerkiez verhindern“ heißt es da in der Neuköllner Ausgabe vom „Berliner Abendblatt“ vom 20. 2. 2010. Die „Verbesserungen“, welche Staat, Stadt, Bezirk und auch das QM durchsetzen wollen, sind einfach nur „Veränderungen“. Es geht nicht darum, die Situation der von Armut betroffenen Menschen zu verbessern, sondern lediglich um die Statistik. Wenn beispielsweise als Ziel vorgegeben wird, dass im Schillerkiez in Zukunft weniger erwerbslose Menschen wohnen sollen, dann bedeutet das nicht, dass denjenigen, die gerne einer Erwerbsarbeit nachgehen würden zu anständig bezahlten Jobs verholfen wird. Es geht vielmehr darum, den Zuzug von erwerbstätigen Menschen zu fördern, um die „soziale Mischung“ im Kiez zu verbessern, mit der Folge, dass diejenigen wegziehen müssen, die sich die Wohnung im Kiez dann nicht mehr leisten können.

In dem Abendblatt-Artikel, der nach einer Aktion der „Überflüssigen“ im Büro des QM erschien, wird eine „autonome Kampagne“ herbeigeredet. Dort wird behauptet, dass es eine ständige Steigerung von Aktionen und vor allem eine zunehmende Gewaltbereitschaft gäbe, die sich auch in einer angeblichen Gewaltandrohung gegen QM-MitarbeiterInnen zeigt. Die Aktionen gegen die QMStrukturen werden dabei einer erfundenen „autonomen Verschwörung“ zur Last gelegt. Eine solche Verschwörung hatte bereits der Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky Ende letzten Jahres auf einer Bezirksverordnetenversammlung gewittert. Der SPD-Politiker, der oft durch seine rassistischen Äußerungen und seine Hetze gegen sozial benachteiligte BewohnerInnen des Stadtteils von sich reden macht, erklärte dort die „Ursachen“ des Widerstands: Es handle sich bei den Kritikern um „politische Überzeugungsreisende“, um junge Menschen, die „Erfahrung sammeln zur Überwindung des Gesellschaftssystems“. Auch an diesem Beispiel können wir sehen, dass die Offiziellen es sich nicht vorstellen können, dass es Menschen gibt, die schlichtweg die Nase voll haben, sich zusammentun, um etwas gegen das, was ihnen nicht passt, zu unternehmen – ganz ohne autonome Verschwörung.

Das Erfinden von Menschen und Gruppierungen, die angeblich von außerhalb kommen und die sozialen Verhältnisse Neuköllns als Vorwand nutzen, um ihre gesellschaftlichen Vorstellungen zu verbreiten, ist wohl Teil einer Kalkulation. Denn wenn die Politik anerkennen würde, dass es sich bei den kritischen, protestierenden Menschen einfach um AnwohnerInnen handelt, müsste sie die Politik der Verdrängung als Problem der dort lebenden Menschen anerkennen. In der Vorstellung der Herrschenden gibt es aber keine Verdrängung, sondern nur Verbesserung. Auch das Berliner Abendblatt sieht das so und beendet seinen Artikel mit folgenden Worten: „In der Okerstraße, wo sich die Linksautonomen keine Veränderung wünschen, gibt es Häuser, in denen bis zu einem Dutzend Menschen pro Zimmer wohnen. […] Dass Kinder nicht zur Schule, sondern betteln gehen, scheint kein Problem zu sein.“ Dass das natürlich ein Problem ist, ist wohl mehr als selbstverständlich. Dennoch ist das „Berliner Abendblatt“ der Meinung, die „Linksautonomen“ wollen keine Verbesserung, weil sie keine „Task Force“, Repression sowie Kontrolle und keine staatliche Bevormundung wollen. Wenn das die gängigen Vorstellungen von Verbesserungen sind, dann wollen auch wir sie nicht! Niemand wird sich aber beschweren, wenn den Menschen etwa bessere Wohnungen und mehr Unterstützung, mehr Solidarität und die Möglichkeit auf ein besseres Leben gegeben wird!