Stoppt die rassistischen Razzien in Neukölln!

Dialog, Verhältnismäßigkeit und Respekt für Neuköllner Gewerbetreibende!

Offener Brief anlässlich der Razzien in Neukölln zur angeblichen Bekämpfung der „Clankriminalität“

Berlin, den 14. März 2022

Sehr geehrte Frau Innensenatorin Spranger, sehr geehrter Herr Bezirksbürgermeister Hikel, sehr geehrte verantwortliche Politiker und Behörden,

seit vielen Jahren haben wir unsere Läden in Neukölln. Als Neuköllner Gewerbetreibende stehen wir für Shisha- und Essenskultur, Gastfreundschaft und gutes Zusammenleben im Bezirk. Aber die Entwicklung der letzten Jahre macht uns große Sorgen. Denn seit 2018 sind vor allen Dingen Neuköllns migrantische Läden – Cafés, Shishabars, Bäckereien, Restaurants, Spätis und viele weitere – häufigen, heftigen und unverhältnismäßigen Kontrollen durch Polizei und andere Behörden ausgesetzt. Wir schreiben Ihnen, weil wir das Vorgehen im Rahmen der Kontrollen für kritikwürdig halten.

Offener Brief gegen Razzien

In den Medien werden die Gewerbekontrollen in Neukölln aufgrund der Pressearbeit der beteiligten Behörden als „Razzien gegen die Clankriminalität“ bezeichnet. Das erweckt den Eindruck, als seien alle kontrollierten Gewerbe kriminell und gefährlich. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass schwer bewaffnete Polizeibeamte den Kontrollen beiwohnen, häufig in sehr hoher Zahl. Außerdem wird meistens die Presse eingeladen. Auch den Journalisten gegenüber werden die Gewerbekontrollen als „Kampf gegen Clankriminalität“ bezeichnet. Unsere Nachbarn werden durch dieses Vorgehen verunsichert, die Gäste bleiben weg. Wir empfinden das als Schikane. Denn die Funde, die hin und wieder gemacht werden, rechtfertigen weder das Ausmaß noch den aggressiven Stil dieser Kontrollen.

Wir haben zugesehen, wie ganze Straßen abgesperrt werden, weil eine Gewerbekontrolle in einer Shishabar stattfindet. Wir haben erlebt, wie Dutzende von Polizisten bei Gewerbekontrollen kleine Läden durchsuchen, ohne die Besitzer zu informieren, warum sie da sind. Unsere Gäste sind angeschrien, mit der Waffe bedroht, und über viele Stunden festgehalten worden. Unsere Läden werden immer wieder zugemacht, ohne dass wir über die Gründe informiert werden. Außerdem werden sie in Medien wie Spiegel TV oder Bild ohne Belege als Treffpunkte für organisierte Kriminalität oder sogenannte „kriminelle Clans“ dargestellt. Dass ein Großteil der Kontrollen eigentlich normale Gewerbekontrollen sind, die zur riesigen Show aufgeblasen werden, wissen die Menschen nicht, die sich diese Berichterstattung ansehen. Aber bei uns landet die Verurte ilung, den solche Berichte hervorrufen. Das macht uns Sorge. Durch dieses Vorgehen ist nicht nur die Existenz unserer Läden bedroht, sondern wir erfahren persönlich, online und auf der Straße großen Hass.

Wir wünschen uns ein anderes Vorgehen. Wir haben Verständnis dafür, dass Gewerbe kontrolliert und Regeln überprüft werden. Aber wir möchten nicht vorverurteilt und ohne Beweise als Kriminelle dargestellt werden. Wir erwarten, dass unsere Gäste von Polizei und Ordnungsbehörden wie alle anderen Menschen behandelt werden – mit Fairness und Respekt. Ermitteln sie gerne gegen Kriminalität, bringen Sie Straftäter vor Gericht. Aber verdächtigen Sie dafür nicht die migrantischen Läden eines ganzen Stadtteils.

Wir würden uns freuen, mit Ihnen in den Dialog zu treten, um Ihnen unsere Sicht der Dinge und unsere Erfahrungen mit den Kontrollen zu schildern. Wir sind sicher, dass es möglich ist, Gewerbekontrollen verhältnismäßig, ohne Diskriminierung und ohne gezogene Waffen durchzuführen. Und wir sind überzeugt, dass wir gemeinsam weiterkommen können, wenn wir miteinander reden.

Mit freundlichen Grüßen,
Ihre Neuköllner Gewerbetreibenden
Kontakt & Presse: offenerbrief.nk@gmail.com

Erstunterzeichner und Unterstützer des Offenen Briefs

Mohammad A., Shishabarbetreiber Donaukiez
Fouad H., Shishabarbetreiber Karl-Marx-Straße
Hüseyn G., Shishabarbetreiber Körnerkiez
Güney A., Spätibetreiber Hermannstraße
Kassem H., Shishashopbesitzer
Yusef E., Shishabarbetreiber Flughafenstraße
Rashid H., Shishabarbetreiber Körnerkiez
Ali H., Shishabarbetreiber Sonnenallee
Ertan, Barbershop Hermannstraße
Café T, Sonnenallee
Issa, ehemaliger Spätibetreiber Karl-Marx-Platz
Shishashop, Sonnenallee
Fleischerladen, Sonnenallee
Kurnaz S., Aller Kiosk, Allerstraße
Café Pappelreihe, Kienitzer Straße
Café Terz, Herrfurthplatz
Café Isla, Hermannstraße
Ezo Breakfast and Coffee, Schillerpromenade
Chadi, Teleshop Erkstraße
John M., English Traders, Weisestraße
Alvaro G., Pequod Books, Selchower Straße
Serhat K., Soul Café, Okerstraße
Kiezladen Sonnenallee 145
k-fetisch, Wildenbruchstraße
Initiative Kein Generalverdacht
Unsere Stimme zählt
Initiative Hermannplatz
Kampagne für die Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP Berlin)
Kiezversammlung 44
Melly Amira, antirassistische Aktivistin

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