Redebeitrag der Ag Armut und Reichtum, von der Solidarischen Aktion Neukölln
auf der Mieter*innen-Kundgebung im Schillerkiez am 15.6. 2019.
Sucht man nach „Reichtum in Neukölln“ im Netz, so heißt es, hier gäbe es nur kulturellen Reichtum, aber keinen ökonomischen Reichtum. Dabei wird in Neukölln gerade viel Geld gemacht. Im Mai 2019 hat die österreichische Signa Group ihre Pläne für den Neubau am Hermannplatz vorgestellt, der 2020 umgesetzt werden soll. 250 Mitarbeiter*innen von Karstadt sind von Jobverlust bedroht. Die lang diskutierte Straßenbahnlinie M10 soll nun direkt ins neue Einkaufsparadies führen.
Die Signa Group baut den Hermannplatz um, die Politik stellt die passende Tramlinie zur Verfügung und die Immobilienfirmen hatten eh darauf spekuliert.
Doch das ist nicht die einzige Entwicklung.:Aus dem alten Edeka in Rixdorf sollen Microappartments als Kapitalanlage gebaut werden.
Miniappartments für Studierende, die wohlhabende Eltern haben und diese ihren Kindern dann kaufen. Ähnlich wird auch in der Flughafenstraße 72-74 von der Accentro Gmbh. kräftig gebaut, mit derselben Geschäftsidee. Eigentumswohnungen für Reiche. Gleich um die Ecke entsteht ein „Boardinghaus“ – möblierte Wohnungen, oft mit Reinigungsservice für Kurzzeitaufenthalte von Firmenmitarbeiter*innen. Direkt Hermannstrasse / Ecke Flughafenstraße.
Die Mieter*innen, die sich diese Eigentumswohnungen oder die hohen Mieten leisten können, möchten natürlich auch ein entsprechendes Wohnumfeld.
Es ist zu befürchten, dass die Armutsbevölkerung aus dem Schillerkiez und letztlich Nord-Neukölln noch weiter verdrängt wird. Seit dem 1.1.2019 beträgt der ALG II- Regelsatz für einen Alleinstehenden 424 Euro. Von dem Geld muss Mobilität, Telefon, Strom bezahlt werden, und vor allem soll man noch ansparen, falls etwas kaputt geht – das Fahrrad, der Computer, die Waschmaschine, der Kühlschrank etc. Daraus erwachsen natürlich existenzielle Ängste.
-Laut Schuldenatlas ist in Neukölln jeder sechste Einwohner verschuldet, in Berlin jeder achte erwachsene Einwohner, das sind ca. 372.000 Berliner.
– Laut Statistischem Landesamt Berlin-Brandenburg hatte Neukölln 2016 (das sind die neuesten Zahlen!) die höchste Mindestsicherungsquote – d.h hier sind knapp 27% der Einwohner*innen von den spärlichen Leistungen von Jobcenter, Sozialamt oder dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten abhängig. Die meisten der Jobcenter-„Kund*innen“ sind „working poor“, d.h. sie verdienen so wenig, dass sie aufstocken müssen
– 2018 gab es in Berlin 18 877 Stromsperren, in Neukölln waren es 1690 Stromsperren. Vattenfall hat in dem Jahr in Berlin ca. 125 000 Sperrandrohungen verschickt.
– Die Berliner Justiz ist jährlich mit 40.000 Personen ohne Fahrschein befasst, wovon ein Teil im Schnitt 40 Tage in der JVA Plötzensee einsitzen muß.
– In Berlin wächst die Zahl der Wohnungslosen. Rund 6.000 bis mehr als 10 000 von ihnen sind obdachlos, leben auf der Straße.
Am Dienstag, den 27. Mai war ein Prozess wegen einer Zwangsräumung am Amtsgericht Neukölln. Ein Bewohner eines Akelius-Hauses hatte die Parolen „Akelius enteignen“ und „Syndikat bleibt“ an die Häuserwand gemalt. Dabei wurde er von einer Security des Vermieters erwischt. Nun wurde ihm gekündigt. Das sei rechtens, so die Richterin. Kein Mitgefühl, dass ein Mensch sein Dach über dem Kopf verlieren soll. Wenn ihm der Vermieter nicht passe, dann könne er sich ja eine andere Wohnung suchen,so die Richterin. Das ist nichts anderes als Klassenjustiz.
Wenn wir nicht kämpfen, haben wir verloren.
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Als Ergänzung eine ausführlichere Faktensammlung, die auf einer Stelltafel gezeigt wurde:
Gebetsmühlenartig wiederholen Politiker und Medien „Den Deutschen geht es gut.“ Viele Menschen wundern sich, denn sie nehmen ihren Alltag anders wahr. Hier einige Fakten:
Energie: 2018 gab es in Berlin 18 877 Stromsperren, in Neukölln waren es 1690 Stromsperren. Vattenfall hat in dem Jahr in Berlin 124 606 Sperrandrohungen verschickt. .
Mobilität: Die Berliner Justiz ist jährlich mit 40.000 Personen ohne Fahrschein befasst. Laut Berliner Justizverwaltung saßen im Jahresverlauf 2017 rund 1.500 Menschen wegen Fahren ohne Ticket in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Plötzensee ein, im Schnitt für 40 Tage.
Wohnung: Bundesweit sollen es 2018 mehr als eine Millionen Menschen ohne Wohnung gewesen sein, 50 000 seien bundesweit obdachlos. In Berlin wächst die Zahl der Wohnungslosen. Rund 6.000 bis mehr als 10 000 von ihnen sind obdachlos, leben auf der Straße. Aktuell wird in Berlin im Schnitt pro Tag 10 Mal zwangsgeräumt.
Sanktionen: Es werden rund eine Million Sanktionen bei Hartz IV pro Jahr in Deutschland ausgesprochen, 77 Prozent wegen versäumter Termine, zehn Prozent wegen des Verstoßes gegen Eingliederungsmaßnahmen, und zehn Prozent, weil ein Job- oder Ausbildungsangebot abgelehnt wurde. Nur drei Prozent der ALG II- Bezieher*innen seien betroffen, weil es häufig Mehrfachsanktionen sind. Leben mit Sanktionen bedeutet, mit noch weniger als dem ohnehin geringen Regelsatz auskommen zu müssen.
Schulden: Laut Schuldenatlas ist in Neukölln jeder sechste Einwohner verschuldet, in Berlin jeder achte erwachsene Einwohner, das sind 371.988 Berliner.. Rund ein Fünftel aller Überschuldungsfälle sind auf den Verlust des Jobs zurückzuführen. Wichtiger wird inzwischen aber auch der Faktor Krankheit, Sucht und Unfall. Bei Frauen, die immer häufiger Geldprobleme haben, sind es vor allem Alleinerziehende.
Arbeit: 4,2 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland in Vollzeit zu einem Niedriglohn. Das ist jeder fünfte Vollzeitbeschäftigte. Es gibt mehr als eine Million Hartz IV- Aufstocker*innen.
Armut: Seit dem 1.1.2019 beträgt der ALG II- Regelsatz für einen Alleinstehenden 424 Euro. Von dem Geld muss Mobilität, Telefon, Strom bezahlt werden, und vor allem soll man noch ansparen, falls etwas kaputt geht – das Fahrrad, der Computer, die Waschmaschine, der Kühlschrank etc. Daraus erwachsen natürlich existenzielle Ängste.
Krankheit: In Deutschland seien aktuell 27,8 Prozent (ca. 17,8 Millionen Menschen) von einer sogenannten psychischen „Erkrankung“ betroffen. Diese seien die häufigste Ursache für Frühverrentungen und die zweithäufigste für Krankheitstage.
Während Arme in diesem Land total durchleuchtet werden, alles dokumentiert wird, ob in den Jobcentern, Sozialämtern, sozialpädagogischen und psychiatrischen Einrichtungen, in betreuten Wohnformen, in totalen Institutionen usw., ist Reichtum kaum erfasst.
Reiche verweigern sich Umfragen. Eine Vermögenssteuer, die vor 20 Jahren in Deutschland ausgesetzt wurde, würde genaue Daten liefern, die heute schlicht nicht existieren. Die Europäische Zentralbank (EZB) fand heraus: Die zehn Prozent der Reichsten in diesem Land besitzen 60 Prozent des gesamten Vermögens. Ein Forscher*innenteam vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stellte sogar fest: Die 45 reichsten Haushalte in Deutschland haben so viel Vermögen wie – die gesamte ärmere Hälfte aller Haushalte im Land.