Tempelhofer Erklärung 2014
vom Förderverein für ein Gedenken an die Naziverbrechen auf dem Tempelhofer Flugfeld e.V.
Der Flughafen Tempelhof (Gebäude und Flugfeld) hat seit seiner endgültigen Schließung als Flugplatz mancherlei Begehrlichkeiten geweckt und viele Planspiele für eine künftige Nutzung gezeitigt. Die Nutzung des riesigen Flugfeldes als große Grünfläche oder zumindest am Rand als Baugelände für den Wohnungsbau werden zur Zeit kontrovers diskutiert.
Ausgelassen wird dabei die NS – Geschichte dieses historischen Ortes: Der Flughafen ist zusammen mit dem Flugfeld eine Hinterlassenschaft der NS-Herrschaft, ein Ort von Opfern und Tätern des NS-Regime. Im Flughafen befand sich die „Flugzeugfabrik des Reichsluftministeriums“, die Weserflug GmbH sowie das zweitgrößte Reparatur- und Umbauwerk der Lufthansa AG im damaligen Deutschen Reich. Vor dem neuen Flughafen befand sich bis 1934 das SS-Gefängnis Columbiahaus und bis 1936 das KZ Columbia. Am Rande des Flugfeldes am Columbiadamm befand sich eine der größten Barackenstädte im deutschen Reich – Vom Hangar I des neuen Flughafens bis zum Garnisonsfriedhof und neben dem Alten Flughafen erstreckten sich zahlreiche kasernenartige Unterkünfte hinter Stacheldraht. Am S-Bahnhof Tempelhof befand sich die sog. kleine Barackenstadt der WeserFlug GmbH. Am geplanten neuen S-Bahnhof „Tempelhofer Freiheit“ befand sich ein weiteres Lager.
Im Flughafen hatten neben anderen Firmen und Institutionen Dienststellen des RLM und des luftmedizinischen Forschungsinstituts ihren Sitz. Die wenigsten Ärzte des luftmedizinischen Forschungsinstituts waren NSDAP- oder SS-Mitglied, aber ihre Arbeit diente der NS-Rüstungspolitik und der Entwicklung neuer Waffensysteme. Sie waren damit mitverantwortlich für den Tod von Kriegsgefangenen, Häftlingen sowie Zwangsarbeiterinnen und –arbeitern bei der Entwicklung und Produktion dieser Waffen. Diese Ärzte stellten sich den Alliierten zur Verfügung, die ihre Forschungen dankbar für sich in Anspruch nahmen. Sie arbeiteten – wie andere Forscher für die damalige SU – für die US-Amerikaner, die ihrerseits die Rolle dieser Ärzte im Nationalsozialismus ignorierten. In Zusammenarbeit mit dem Team Wernher von Brauns in den USA entstanden so das Apollo- und Saturn-Programm. Der Einsatz von Zwangsarbeitern in der Produktion von Sturzkampfbombern (Stukas), die Erprobungsstelle im Flughafen, die enge Verbindung der beiden bedeutendsten Reparatur- und Umbauwerften, Staaken und Tempelhof der LuftHansa sowie deren Präsenz im Flughafen sind noch weitgehend unbekannte Kapitel der NS-Geschichte des Flughafens. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen für die Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter waren menschenverachtend und führten zum Tode von einer bislang noch unbekannten Anzahl von Menschen. Tempelhof wurde ab 1943 bombardiert, der Bezirk teilweise zerstört. Die ZwangsarbeiterInnen, die täglich von den Lagern in Tempelhof und Neukölln in die Flugzeugfabrik fuhren, waren den Bombardements schutzlos ausgeliefert. Viele wurden in den Kellern und Tunneln im Flughafengebäude eingesetzt, weil die Produktion verlagert worden war. Eine noch unbekannte Anzahl dagegen musste sich in den Splittergräben vor den Bomben schützen. Bei den Luftangriffen der Alliierten kamen überwiegend ZwangsarbeiterInnen ums Leben. Ihnen wurde der Zugang zu Schutzräumen hier wie andernorts verwehrt.
Diese Geschichte macht es unmöglich, diesen historischen Ort unkritisch unter Verharmlosung seiner Rolle während des Nationalsozialismus als Ort der Freiheit, des Vergnügens und der Toleranz zu feiern. Der Flughafen und das Gelände werden unter dem Begriff „Tempelhofer Freiheit“ vermarktet, der Masterplan des Senats von 2013 trägt den gleichlautenden Titel. Wir lehnen diesen Begriff ab, denn das Tempelhofer Feld war während der Herrschaft der Nationalsozialisten für zehntausende von Menschen ein Ort der Unfreiheit. Wir kritisieren dabei auch, dass der Masterplan die Dimension der NS-Geschichte außen vor zu lässt.
Wir fordern:
Der Nationalsozialismus, nicht Luftbrücke und Kalter Krieg, bestimmen maßgeblich das Flugfeld. Eine Forschungs-, Bildungs,- Begegnungs- und Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens ist daher längst überfällig. Sie ist am Nationalsozialismus zu orientieren, nicht an der Luftbrücke oder den Alliierten.
Es bedarf einer umfassenden wissenschaftlichen Aufarbeitung des Tempelhofer Flughafengeländes im Rahmen der Berlin-Brandenburgischen Erinnerungslandschaft.
Die Ausrichtung des Masterplans des Landes Berlin muss umgehend – unter Einbezug der oben genannten historischen Fakten – überarbeitet werden. Entsprechend forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen sind dabei einzubeziehen.
Die bisherigen Unterstützerinnen und Unterstützer auf der Seite des Fördervereins:
Tempelhofer Erklärung 2014 . Es werden weiter Unterschriften gesammelt.