Der Joghurt war gut

– was hat meine Wohnung eigentlich mit dem Kapitalismus zu tun?

Im Kapitalismus werden Häuser und Wohnungen nicht gebaut, damit Menschen darin leben, sondern weil sie verkauft oder vermietet werden können: Weil sie eine Ware sind. Das gleiche gilt übrigens auch für Äpfel, für Medikamente, für Kleidung – für fast alles eigentlich. Dass ich einen Apfel essen kann, wenn ich Hunger habe, oder ein Medikament nehme, falls ich krank bin oder eben in eine Wohnung einziehe, wenn ich keine habe, ist so etwas wie die Nebenwirkung des eigentlichen Zwecks, des Verkaufs einer Ware.

Jetzt könnte man meinen, dass das ja nicht so schlimm sei, wenn wenigstens die Nebenwirkung den eigentlichen Zwecks unsere Bedürfnisse befriedigt. Aber das passiert nur, wenn wir auch dafür bezahlen können. Ein Bedürfnis, das sich nicht in Geld ausdrückt, ist im Kapitalismus bedeutungslos. Deshalb gibt es trotz des immensen Reichtums auf der Welt noch immer Menschen die verhungern, während woanders massenweise Nahrung weggeworfen wird. Und deshalb gibt es auch Menschen ohne Dach über dem Kopf, während gleichzeitig Häuser leer stehen und langsam verrotten. In Spanien lässt sich das gerade besonders gut beobachten: zigtausende Menschen wurden seit Beginn der Krise zwangsgeräumt, also aus ihren Wohnungen geworfen, während im Land über eine Millionen Neubauwohnungen und Häuser leerstehen. Dass jetzt kein Mensch mehr in den Wohnungen lebt – könnte man meinen – nützt eigentlich niemandem. Aber so läuft es halt im real existierenden Kapitalismus. Die Logik, dass nur essen und wohnen darf, wer dafür zahlt, muss um jeden Preis aufrecht erhalten werden, denn sonst funktioniert der Kapitalismus nicht. Die Besitzenden der Wohnungen und Häuser können damit machen was sie wollen. Und alle anderen gucken in die Röhre.

In Berlin sieht die Situation anders aus als in Spanien. Hier gibt es seit knapp zehn Jahren einen Bevölkerungszuwachs. Wir werden also immer mehr. Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der eigenständigen Haushalte um 175 000 gestiegen. Damit steigt auch die Nachfrage nach Wohnungen in der Stadt. Diese werden aber nicht ausreichend gebaut, und wenn dann sind es meist teure Luxuswohnungen. Denn damit kann man mehr Gewinn erzielen. Wenn mehr Menschen eine Wohnung suchen als es welche gibt, dann steigen die Preise. Und diese Preise müssen wir mit unserer Miete bezahlen. Umgekehrt sind die Mieten niedrig wenn es viele leere Häuser gibt. Damit das nicht passiert, und die Besitzenden weiterhin ordentlich Kasse machen können, werden leerstehende Wohnungen abgerissen. Beispielsweise wurden im Zuge des Programms Stadtumbau Ost bis vor einigen Jahren mehrere tausend Wohnungen im Osten Berlins abgerissen, um „den Markt zu bereinigen“, also um die Preise (die Miete) hoch zu halten. Für die Immobilienwirtschaft, ist eine Wohnungsnot eine willkommene Gelegenheit an der Mietspirale zu drehen. Denn eine Obergrenze bei Neuvermietungen gibt es nicht. Da wir aber darauf angewiesen sind, in einer Wohnung zu wohnen, müssen wir wohl oder übel in den sauren Apfel beißen, auch wenn das bedeutet 12€ pro Quadratmeter und über die Hälfte unseres Einkommens für die Miete auszugeben.

In der aktuellen Krise kommt hinzu, dass viel Kapital (Geld, das wieder inverstiert werden soll) auf der Suche nach einer sicheren Anlage ist. Der Berliner Wohnungsmarkt galt lange als unterbewertet. Das bedeutet im Klartext, das noch nicht das Maximum an Gewinn, also an Miete aus den Häusern rausgeholt wurde. Viel Kapital setzt daher in Zeiten von Unsicherheit in anderen Anlagemöglichkeiten aufs Betongold. Am liebsten natürlich an einem Ort wo erwartet werden darf, dass mit der Investition besonders viel Profit gemacht wird. Das ist in Berlin der Fall. Zwischen 2009 und 2011 ist die Zahl der jährlich verkauften Wohnungen in Berlin um 4000 auf 21161 gestiegen. Jürgen Michael Schick, der Vizepräsident des Immobilienverbands Deutschland (IVD), einer Lobbyorganisation der Immobilienbranche, meint, Berlin sei derzeit die mit weitem Abstand am stärksten nachgefragte Stadt für internationale Investor_innen. Diesen greift der Senat dabei gerne unter die Arme: mit Steuererleichterungen, der Ausweisung von Sanierungsgebieten und anderen Mitteln wird die Investition in den Berliner Immobilienmarkt schmackhaft gemacht. Die Preise für Wohnungen stiegen zwischen 2008 und 2012 um durchschnittlich 23%. Die Miete stieg im gleichen Zeitraum um 32 %. Der Mietspiegel, der alle zwei Jahre im Mai herauskommt, ist ein besonders scheußliches Ding. Denn in ihm werden die Bestandsmieten erfasst und daraus ein Durchschnitt errechnet. Alle Haus- oder Wohnungsbesitzer_innen dürfen dann die Mieten auf diese Höhe anheben. Und da die Preise bei Neuvermietungen rasant ins Unerträgliche steigen, erhöht sich natürlich auch die Durchschnittsmiete. Mit der Folge, dass alle zwei Jahre der Miet(erhöhungs)spiegel fast automatisch unsere Miete und damit den Gewinn der Besitzenden steigen lässt. Umgekehrt gilt das aber nicht. Sollte der Mietspiegel sinken (was in Berlin wohl in absehbarer Zeit nicht passieren wird), müssen die Mieten deshalb nicht etwa gesenkt werden.

Da diese kapitalistischen Realitäten gerade sehr vielen Menschen in Berlin das Leben schwer machen, und es daher viel Protest und Widerstand gegen die Verdrängung und Verarmung in der Stadt gibt, wird im Senat und in den Parteien viel über „das Mietproblem“ gequatscht. Dabei finden sie es eigentlich ganz toll, denn eine boomende Wirtschaft, eine Aufwertung der Stadt und viele reiche Neuberliner_innen erhöhen die Steuereinnahmen. Damit können dann Flughäfen oder Schlösser gebaut werden. All jene, die nicht viel Kohle haben, spielen darin kein große Rolle: sie sind lediglich ein Mittel zum Zweck. Ein Mittel das arbeitet und damit die Gewinne derjenigen vermehrt, die sowie schon viel zu viel haben. Ein Mittel, das mit dem mickrigen Lohn oder mit Hartz IV den Wohnungseigentümer_innen die Profite zahlt und ein Mittel um diejenigen zu wählen, von denen sie die ganze Zeit verarscht werden. Denn von einer „boomenden Wirtschaft“ oder einer „Aufwertung der Stadt“ mögen einige profitieren. Aber das sind ganz sicher nicht die, die sich den Buckel krumm schuften oder vom JobCenter terrorisiert werden, und dann trotzdem nicht wissen, wie sie die Miete bezahlen sollen. Und selbst wenn es ein Gesetz geben würde, dass diese widerliche Situation abmildern würde – da brauchen wir uns nichts vormachen –, das wäre so schnell wie möglich wieder aufgehoben. Abgesehen davon, dass es keine Lösung, sondern höchstens eine Verwaltung des Problems wäre.
Diesen ganzen Wahnsinn, dieses Hamsterrad der Geldvermehrung, diesen Terror sind wir erst los, wenn Wohnungen nicht länger eine Ware sind. Das ist zwar im Augenblick nicht besonders wahrscheinlich, aber vielleicht werden wir trotzdem irgendwann einmal sagen können: „Es war ja nicht alles schlecht im Kapitalismus – der Joghurt war gut.“

Der vorige Text wurde zuerst in der RandNotizen 9 Juli-Ausgabe veröffentlicht.

Ein weiterer lesenswerter Text zu dieser Thematik erschien in der September-Ausgabe der Wiener Stadtteilzeitung “Schmankerl”. Er ist auf linksunten.indymedia nachzulesen:
Miete, Eigentum – Klasse?

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