Quartiersrat Reuterplatz gegen Verdrängung

Offener Brief des Quartiersrats Reuterplatz:

Sehr geehrter Herr Buschkowsky,
sehr geehrte Mitglieder aller Fraktionen der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln,

der Quartiersrat des QM Reuterplatz und die UnterzeichnerInnen dieses offenen Briefes fordern Sie dringend auf, ein Handlungskonzept gegen die Verdrängung vieler einkommensschwacher Nachbarn aus unserem Lebensquartier in Neukölln zu erarbeiten und nachhaltig zu realisieren.
Laut aktuellster Studie „Sozialstrukturentwicklung in Nord-Neukölln“ von TOPOS Stadtforschung (12/2011) im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung „zeigt sich im Gebiet Reuterplatz in den letzten Jahren eine deutliche Gentrifizierungsentwicklung.“ 1 (…) Die Entwicklungsrichtung des Gebiets zeigt sich auch in der starken Zuwanderung von Gentrifiern.2
Wir erleben die Ergebnisse der Studie täglich: Der Umzugswagen ist in unserem Quartier die Regel und nicht die Ausnahme. Langjährige Nachbarn ziehen fort, die Wohnung wird schnell saniert, viel teurer vermietet oder verkauft als Eigentumswohnung mit Quadratmeterpreisen von über 3000 €/m².
„Die enorme Dynamik der Mietenentwicklung zeigt sich in den Mietpreisen, die bei Neuvermietung gefordert werden. Diese übersteigen in den verschiedenen Kategorien die Mietspiegelmittelwerte um 15% bis zu 35%.“ 3 „Erhöhungen der Bestandsmieten ohne Wohnwertverbesserungen – in der Regel mit Bezug auf den Mietspiegel – hat es für 40% aller Wohnungen während der letzten drei Jahre gegeben.“ 4
Das hat zur Folge, dass viele Menschen mit niedrigem Einkommen aus dem Reuterquartier verdrängt werden!

„Aber wenn der Prozess so weiterläuft, wenn von der Politik nicht eingegriffen wird, werden die Bewohner die Leidtragenden sein. Zurzeit steigen nur die Mieten bei Neuvermietung. Aber es wird nicht lange dauern, bis auch die Bestandsmieten steigen. Gut möglich, dass sich schon in 2, 3 Jahren viele die Gegend nicht mehr leisten können. Das ist aber kein automatischer Prozess: Den könnte man etwa durch Mietobergrenzen politisch regulieren.“ 5
„Ghetto Neukölln“ schrieb 1997 der Spiegel. Der Notruf aus der Rütlischule riss 2006 die Verantwortlichen endgültig aus dem „Nichthandeln“. Mittlerweile gilt das Reuterquartier als very hip.
In unser Quartiersgebiet Reuterplatz flossen in den letzten Jahren viele Millionen Euro aus Soziale Stadt, EU-Förderung, Bundesförderung, u.a. Viele BürgerInnen haben sich langjährig für die Verbesserung des Lebens im Reuterquartier engagiert. Durch die anhaltende Verdrängung droht dies alles zunichte gemacht zu werden.

Unser Quartier ist für alle da!

Wir erinnern an Ihre Verantwortung, sich nach den Richtlinien der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung für unser Quartier einzusetzen: „Die Stadt als Rahmen für eine solidarische Gesellschaft zu qualifizieren, ist das programmatische Ziel des Schwerpunktprogramms ‚Soziale Stadt'(…).“
Wir fordern Sie nochmals dringend auf, ein Handlungskonzept gegen die Verdrängung vieler BewohnerInnen mit niedrigem Einkommen aus unserem Reuterquartier zu erarbeiten und nachhaltig zu realisieren!
Wir arbeiten und entscheiden gerne mit.

Mit nachbarschaftlichen Grüßen
Quartiersrat Reuterplatz

Informationen über das Reuterquartier:

„Bevölkerung: 18.920 Einwohner; 37,1% der Bewohner sind zwischen 18 und 35 Jahre alt (Statistisches Landesamt Berlin-Brandenburg 30.6.2011) 27% Bewohner ohne deutschen Pass (neuköllnweit 21,5%, berlinweit 13,7%). Bewohner mit Migrationshintergrund 43,3% (Statistisches Landesamt Berlin-Brandenburg 30.6.2011). Bis zu 95% Kinder nicht-deutscher Herkunftssprachen in den Schulen.

Sozialdaten: Bezieher von Transferleistungen 5.221 bzw. 27,3% (Gebietsmonitoring 2010). Ca. 75% der SchülerInnen sind von Lernmittelzuzahlung befreit. Arbeitslose 1.841 bzw. 9,62%; die Arbeitslosenquote liegt nicht gebietsscharf vor, aufgrund der Bewohnerzusammensetzung ist eine deutlich höhere Quote als der Berliner Durchschnitt von 18% wahrscheinlich, besonders betroffen sind Migranten, Langzeitarbeitslose und Jugendliche. Rang 343 von 434 LOR (Monitoring 2010 durch Prof. Häußermann)“ 6

Quellenangaben:
1 „Sozialstrukturentwicklung in Nord-Neukölln“ TOPOS Stadtforschung (12/ 2011), Seite 49
2 ebenda S. 49
3 ebenda S. 30
4 ebenda S. 33
5 Stadtsoziologin Olivia Reber, über „Politisch initiierte Verdrängung im Berliner Reuterkiez? Zum Verhältnis von Stadterneuerung und Gentrification“, TAZ 26.5.2012
6 http://www.reuter-quartier.de/Unser-Quartier.154.0.html

Der Offene Brief ist abgedruckt in der Ausgabe 6/2012 der Kiezzeitung „Reuter“ (PDF-Dokument)

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