Die „tageszeitung“ beendet heute ihre vor 5 Jahren begonnene Serie über den Wandel im Schillerkiez mit einem Schwerpunkt. Als Bilanz nach fünf Jahren Gentrifizierung schreibt sie Schillerkiez ist überall . Dazu gibt es einen Bericht über die Veränderungen unter der Überschrift Ein Kiez macht sich flott .
Bereits Ende April erschien die neue Ausgabe der Stadtteilzeitung RandNotizen , die nach 5 Jahren auch Bilanz zieht. Ein Text darin schildert ebenfalls im Rahmen eines Rundgangs durch den Kiez die Entwicklungen der letzten Jahre. Wir stellen ihn hier Online.
Der Schillerkiez erwacht aus dem Dornröschenschlaf…
über Aufwertung im Schillerkiez
Ein Rundgang mit dem Stadtteilaktivisten Reiner
Reiner will mir heute über den Wandel im Schillerkiez berichten. Wir stehen an der Ecke Weisestraße/ Herrfurthstraße. Aus der Herrfurthstraße sei eine „Fressgasse“ geworden, beginnt Reiner, mit zum Teil erheblichen Preisen. Viele Alteingesessene können sich das nicht leisten. Entweder stehen draußen keine Preise dran oder wir lesen auf unserem Weg: Lammhaxe 13,90 Euro, Hähnchen 10 Euro, Risotto 10 Euro, Spätzle 7,90 Euro, Flammkuchen 6,90 Euro usw.
Seitdem das Tempelhofer Feld geöffnet wurde, so Reiner, haben sich die Hauptzugangswege zum Feld, die Selchower Straße und die Herrfurthstraße verändert. Gerade bei gutem Wetter strömen Menschenmassen aufs Feld. An den Straßen sind neue Gastronomie- und Modeläden entstanden. Zum Teil hat sich das Gewerbe aus dem stärker gentrifizierten Reuterkiez zum Schillerkiez hochverlagert.
In der Herrfurthstraße zwischen der Weisestraße und der Genezareth-Kirche gab es vor einigen Jahren noch viel Kleingewerbe, wie ein Bäcker, wo sich alle möglichen Leute trafen, von jung bis alt, migrantisch und nicht migrantisch. Inzwischen sind die kleinen Läden weg. Entstanden sind Bürogemeinschaften, Modeläden und Gastronomie. Vor fünf Jahren wurde im Schillerkiez noch ein Gewerbeleerstand beklagt, weiß Reiner. Den gibt es inzwischen kaum noch. Nun wird Wohnraum in Gewerberaum umgewandelt. Das Haus Weisestr. 47 stände jetzt komplett leer, aber das sei eine Ausnahme. Gelegentlich würden vorübergehend noch Wohnungen leer stehen. Auffällig seien auch Baugerüste im Kiez, die die Fassaden „außen aufhübschen, um sie besser zu vermieten oder zu verkaufen“, so Reiner. An manchen Häusern würden auch die Graffities schnell übermalt.

„Die Gentrifizierung ist in bereits vollem Gange“
Nun stehen wir an der Kirche. Davor steht eine BücherboXX. „Nimm ein Buch, bring ein Buch.“ verheißt ein Informationsblatt. Und: „Eine kleine Kultur des Gebens und Nehmens“. Wir umlaufen die Kirche. „Gott ist tot!“ hat jemand an die Kirchenwand geschrieben. Die Nächstenliebe manifestiert sich auch an der City Toilette, die auf der Schillerpromenade vor 2-3 Jahren aufgestellt wurde. In Berlin muß man für dieses menschliche Bedürfnis mittlerweile immer öfter bezahlen.
Ob sich das wohl die Trinker an der Schillerpromenade leisten können? Das Grünflächenamt baute ihnen vor Jahren die Tische ab: „Intelligente“ staatliche Lösungen. Mittlerweile sitzen im Sommer Massen an jungen Leuten aus der Mittelschicht mit alkoholischen Getränken vor der Kirche. Manchmal kam auch die Polizei, wenn es bei 70-80 Leuten etwas lauter wurde, so Reiner. Was würden sie wohl tun, wenn 70-80 Trinker aus der „Unterschicht“ sich dort aufhalten würden? Ob die eingesessene ältere Mittelschicht, die im Cafe in der Kirche sitzt, diesen Anblick wohl ertragen könnte? Entscheidend ist immer, wer wo trinkt und wer Kinder hat.
Die Kirche profitiere vom Zuzug vor allem junger Familien, die die Räume der Kirche nutzen. Dort finden Kinderprogramme statt. Allerdings gehe die Oberstufe der evangelischen Schule aus dem Gemeindehaus 2017 heraus, dann will die Kirche das Gemeindehaus verkaufen. Das Haus hat einen großen Saal, der im Schillerkiez gut genutzt werden könnte. Reiner verweist auch auf einen Artikel in der taz. Die Pfarrerin der Genezareth-Kirche, Elisabeth Kruse, sagte der taz: „Die Gentrifizierung ist bereits in vollem Gange“. Im Kindergarten ihrer Gemeinde seien die bildungsnahen Mittelschichtsfamilien inzwischen in der Mehrheit, auch gebe es spürbar mehr Taufen. Anlass zum Jubeln ist das für Kruse nicht: „Wir haben hier alles nebeneinander: soziale Probleme und abends die Englisch sprechenden Touristen.“ ( taz, 24.9.2014).
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