Graffitti Weisestrasse 90er Jahre, Foto März 2011
Der folgende Text stammt aus einem Flugblatt, das in den frühen 90ern des letzten Jahrhunderts (wahrscheinlich 1992) verfasst wurde. Bis auf die konkreten Beispiele ist der Inhalt nach wie vor hochaktuell, deshalb mal dieser kleine geschichtliche Rückblick.
Viele Neuköllnerinnen und Neuköllner werden Opfer einer rücksichtslosen Politik,die völlig an den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vorbeigeht.
Die derzeitige Wohnungspolitik beruht auf drastischen Mietpreissteigerungen sowie auf der Zerstörung von Wohnraum durch die Schaffung von immer mehr neuen Gewerbeflächen und Büroräumen.Die Marschrichtung ist klar: Neukölln soll dem Hauptstadtimage entsprechend „aufgewertet“ werden. Die geplanten Großprojekte,das „Forum Neukölln“,dem drei Wohnhäuser zum Opfer fallen sollen, sowie das 4-Sterne-Hotel samt Bürohochhaus in der Hermannstrasse,sind die ersten wichtigen Schritte zur grundlegenden Umstrukturierung in Neukölln.So meint Heinz Buschkowsky,ehem. Bezirksbürgermeister(SPD):“Ein gutes Mittelklassehotel hat in Neukölln seinen Platz. Klassenkampfparolen wie „Arbeiterquartier“ sind da wenig hilfreich.Neukölln besteht ja nicht nur aus Sozialhilfeempfängern.“
Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Umstrukturierung ist die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen,der verstärkte Ausbau von Dachgeschossen,und die Luxusmodernisierung von zahlreichen Wohnungen. Dadurch sollen Besserverdienende angezogen werden. Die alteingesessenen Mieterinnen und Mieter werden im Zuge dieser Entwicklung vertrieben,da sie sich ein Leben in Neukölln nicht länger leisten können.
Auch für kleine Gewerbetreibende wie Trödler,Bäcker,Schuster und andere sieht die Zukunft schlecht aus.Doch diese verkennen ihre Lage. Sie erhoffen sich von den neuen Mieterinnen und Mietern zahlungskräftige Kundschaft und unterstützen damit die Umwandlung Neuköllns.
Die Gewerbetreibenden machen sich dabei aber nicht bewusst,dass sie sich damit ins eigene Fleisch schneiden. Herr Dudek, Vorsitzender der „Aktion Hermannstrasse e. V.“(Vereinigung der Gewerbetreibenden) sagt dazu: „Der Handel braucht zahlungskräftige Kundschaft und keine Nachbarschaft,die alles Geld,was sie zur Verfügung hat,für die Miete ausgeben muss.“Die Pläne der Politiker sehen anders aus. Dazu Heinz Buschkowsky:“Also (ist das Forum) mehr oder weniger der Todesstoss für das Gewerbe an der Hermannstrasse und der Sonnenallee.“
Auch im verkehrsplanerischen Bereich werden gigantische Projekte ins Auge gefasst.(Obwohl es in Neukölln keine Busspuren gibt und der Nachtbusverkehr drastisch eingeschränkt werden soll.) Als Beispiele sind zu nennen: der geplante Stadtautobahnausbau nach Treptow,dem 30 Wohnhäuser in der Wederstrasse weichen müssen,der Autobahnzubringer zum Flughafen Schönefeld sowie die im Bereichsentwicklungsplan festgeschriebene Schaffung weiterer Parkplätze.Das bedeutet noch mehr Verkehrsunfälle in unserem Bezirk!Dafür fällt der Ausbau von Fahrradwegen unter den Tisch.
Während sich die Regierenden über den Ausbau des Individualverkehrs den Kopf zerbrechen,bleiben wichtige Bereiche wie die Jugendarbeit auf der Strecke.So werden durch massive Mieterhöhungen Projekte zum Aufgeben gezwungen oder an den Rand der Stadt gedrängt,wie z.B. „Filia“(griechisch-deutsches Jugendzentrum), Zeynom(türkisch-arabisches Drogenprojekt) und das Türkenzentrum.Auch der selbstbestimmte und frei finanzierte autonome Krümelladen konnte dieser Mietpreisentwicklung nicht standhalten.
————————–
Widerstand gegen die Verhältnisse in Neukölln hat eine lange Geschichte. Die Themen, die z.B. 1993 aktuell waren, sind es heute immer noch. So organisierten Aktivisten 1992 und 1993 eine Reihe von Demos. Wir dokumentieren hier Plakate, die dazu mobilisierten.
Plakate 1993