Ein Kommentar zur Propaganda des Senats im Kampf ums Tempelhofer Feld
Berufspolitiker*innen finden es nervig, wenn die Bewohner*innen dieser Stadt plötzlich versuchen selbst und direkt über ein Thema zu entscheiden. Ihre Demokratie sieht in der Regel so aus, dass sie alle vier Jahre für den Wahlkampf ein paar Foto-Shootings und ein paar Versprechen machen, hier mal Lächeln, da mal betroffen oder abgekämpft in die Kamera schauen, um dann nach der Wahl wieder zum Business-as-usual überzugehen. Sie haben ihre Vorstellungen, wie diese Stadt auzusehen hat, sie haben Verpflichtungen gegenüber Bekannten oder Verbündeten: „ich verspreche dir, ich werde diese Bibliothek bauen!“ oder „klar, deine Modemesse wird dieses oder jenes Gebäude nutzen können!“ oder „auch deine Baufirma wird bei der Auftragsvergabe berücksichtigt!“
Wer es geschafft hat, an die Macht zu kommen, hat dies nie alleine geschafft, sondern als Networker*in, als Person verbindlicher Absprachen in einer Welt, in der eine Hand die andere wäscht.
Und da ist es nervig, wenn dem reibungsfreien Ablauf dieser Welt (in der das Schmiermittel der feste Händedruck beim Glas Champagner auf einem weiteren korrupten Richtfest ist) durch sowas wie einen Volksentscheid Sand ins Getriebe gestreut wird. Der Berufsstolz der Politiker*innen ist hier angegriffen, wenn das Wahlvolk zeigt, dass es mehr will als alle vier Jahre im Wahlkampftaumel auf Versprechen hereinzufallen: der*die echte Berufspolitiker*in sieht hier plötzlich die Schäfchen davonlaufen. Und versucht dann durch geschicktes Zäunebauen, Leckerlies verteilen, aber schlussendlich auch mithilfe des Schäferhundes, die Herde im Zaum zu halten.
Es ist also wenig verwunderlich, dass der Senat mit relativ schäbigen Mitteln der staatlichen Propaganda gegen die Ziele des Volksentscheids ins Feld zieht. So wurden z.B. Anfang diesen Jahres Tafeln aufgestellt, in denen darüber „informiert“ wird, was die angeblichen Folgen des Volksbegehrens wären.
Frech wird dort eine Liste mit Unterstellungen und Behauptungen unter der Rubrik „Wenn das Volksbegehren erfolgreich ist“ präsentiert. So sei in dann z.b. „eine behutsame und soziale Stadtentwicklung für nachfolgende Generationen nicht mehr möglich“, so die Propagandaabteilung. Außerdem könnten „dringend benötigte Wohnungen nicht gebaut“, weitere Rad- oder Fußwege nicht realisiert sowie Baumpflanzungen nicht vorgenommen werden. Der Senat also, der bei drohenden Zwangsräumungen durchaus eine „behutsame und soziale Stadtentwicklung“ vorantreiben könnte (z.B. mit Angeboten der stadteigenen Wohnungsbaugesellschaften oder durch Zwangsverwaltung/Enteignung der dreisten Eigentümer*innen), schickt stattdessen stets dessen gewaltbereite und -geneigte Schlägertrupps. Sehr behutsam.
Und, was den dringenden Wohnraum betrifft. Uns ist neu, dass Menschen, die sich Wohnungen von 10 Euro/m² Miete oder gleich Eigentumswohnungen leisten können, unter Wohnungsnot leiden und deshalb für ausgerechnet jene Gruppe weiter gebaut werden muss. „Dringend benötigt“ wird eigentlich nur Wohnraum für Menschen mit geringen finanziellen Möglichkeiten. Den zu erhalten, wo es ihn noch gibt, wäre Aufgabe des Senats (statt bei Zwangsräumungen nen Polizeihubschrauber hochsteigen zu lassen). An der ein oder anderen Stelle mal kein Einkaufszentrum, Bürohaus oder Hotel in den Bebauungsplan zu schreiben (wir kennen genug Beispiele aus der Berliner Innenstadt), sondern stattdessen eben jenen günstigen Wohnraum zu schaffen – genau dies tut der Senat die ganze Zeit nicht, behauptet aber nun – wo ein Volksbegehren dessen arrogante Hinterzimmer-Planung infrage stellt – es sei für das Tempelhofer Feld alles geplant.
Gleiches muss zur Stadtökologie gesagt werden: Grundsätzlich ist es immer wieder schnurz-egal, wenn mal ein Baum gefällt wird oder ein Park nach Sicherheitskriterien (Sichtachsen, dekorative Blumen, Auslichtung, wenig Unterholz) statt ökologischen (dem Wildwuchs überlassene Bereiche, Anpflanzen von beerentragendem Gestrüpp, etc.) umgebaut wird. Jetzt plötzlich behauptet der Senat, das Volksbegehren würde sowas verhindern wie Baumpflanzungen.
Solcherart Unterstellungen sind nichts anderes als eine Schmutzkampagne in einem so oder so ungleichen Kampf. Auf der einen Seite kämpft nämlich eine Bürger*innen-Initiative ehrenamtlich und ohne Zugriff auf öffentliche Ressourcen sowie ohne entsprechend professionelle Pressekontakte – und Arbeit. Zwar gibt es z.B. einzelne Umweltverbände wie den BUND, der durch sein juristisches und ökologisches Know-How den Bauplanungsprozess für das Wasserbecken des Senats unterbrechen konnte. Doch die Politik kann da auf deutlich mehr zurückgreifen.
Hier gibt es professionelle Presse-Sprecher*innen, die für ihren Job bezahlt werden. Berufspolitiker*innen kennen zudem wichtige Redakteur*innen oder Journalist*innen oft persönlich und hier herrscht das gute alte Geben-und-Nehmen. Für die exklusive Info an dem einen gibt’s den netten Dankeschön-Artikel an dem anderen Tag. Von staatlichen Medien wie RBB, bei dem die Politiker*innen die Posten der Entscheidungsträger*innen selbst mitbestimmen können, braucht da garnicht weiter gesprochen werden. Zusätzlich verfügen Politiker*innen über die finanziellen und logistischen Ressourcen, um z.B. Fragebögen an Anwohner*innen zu verschicken, deren Ergebnisse dann von der hauseigenen Statistik-Abteilung so verwurstet werden, dass am Ende auf schicken Tafelnm oder Infoboxen rauskommt, was so oder so auf der Wunschliste des Senats stand. Hinzu kommt, dass die Politik eben nicht nur aus den Senatssprecher*innen besteht: die Zentral- und Landesbibliothek hat beispielsweise eine eigene Pressesprecherin. Auch die Tempelhof Projekt GmbH hat nochmal einen eigenen Öffentlichkeitsarbeits-Etat, genau wie die Grün Berlin GmbH, die das Feld derzeit betreibt. Landeseigene Wohnungsbau-Unternehmen wie „Stadt & Land“, die in anderen Teilen der Stadt immer wieder durch Mieter*innen-Schikanen auffallen, schicken im Fall Tempelhof ihre Manager*innen vor, um soziale Versprechungen hinsichtlich Wohnungsneubaus zu machen. Wirtschaftverbände, insb. aus dem Immobilienspektrum haben als finanzstarke Akteure auch keine Probleme ihre baufreundlichen Positionen in verschiedenen Medien unterzubringen. Gerade die ideologische Schlacht mit der Propagandalüge „Neubau hilft gegen Wohnungsnot“, die vollkommen an den Erfahrungen derjenigen vorbeigeht, die von Wohnungsnot bedroht oder betroffen sind, wird von dieser Seite mit allen Mitteln geführt. Schließlich geht es ums Kerngeschäft der profitorientierten Immobilienwirtschaft.
Dem gegenüber musste ich als Jogger im Februar 2014 (also kurz vor dem Einreichen der Unterschriftenlisten) miterleben, wie der Dussmann Sicherheitsdienst eine Personen-Gruppe der 100%-Tempelhof-Initiative des Feldes verwies, da jene (so die Antwort auf meine Nachfrage), dort ohne Genehmigung mit einer Videokamera unterwegs waren. Zwei Monate später lässt dann der Senat einen fetten Infokasten mit der Beschriftung „Schaukasten Bürgerbeiligung“ aufstellen, um nochmal klar zu machen, wer der Platzhirsch ist, wenn es um die Meinungsbildung für den Volksentscheid Ende Mai geht. Auf dem stadteigenen Feld erteilt sich der Senat nämlich seine Genehmigung selbst (und gibt sie der Bürgerinitiative nicht). Und die Kohle einen bewährten Akteur der gehobenen Werbeflächen-Produktion zu beauftragen hat der Senat natürlich auch: Die Propaganda-Container sind von der Firma „Furore Werbung“ hergestellt: die arbeiten ansonsten für den Deutschen Fußballbund, die Mercedes Benz Fashion Week und haben im letzten Merkel-Wahlkampf die CDU-Plakate gedruckt – ein erfolgreiches Geschäft. Da waren sich SPD und CDU sicher einig, dass hier der richtige Partner gewählt wird, um die Bürgerinitiative zu schlagen.
Mich jedenfalls würde es (leider) nicht wundern, bei der Ungleichheit der Mittel. Auf der anderen Seite wissen natürtlich viele Menschen, welch verlogenes Spiel die Politik fährt und am Ende sind wir vielleicht nicht so doof auf Propaganda-Lügen und Werbeagenturen hereinzufallen, sondern werden unseren eigenen Verstand benutzen und den Leuten zuzuhören, die hier aus tatsächlicher Überzeugung und ehrenamtlich monatelang Unterschriften gesammelt haben und eine Inititative geschmissen haben. Dafür gilt ihnen mein Respekt.
Aus RandNotizen-Extra, April 2014 5 Jahre Kampf ums Tempelhofer Feld