Wie sich eine Ansammlung von Lobbyisten der Immobilienwirtschaft als „Volksinitiative“ tarnt und Mieter*innen verarschen will, zeigt ein Flyer der Mieter*innenversammlung Schillerkiez in Neukölln:
Neue Wege für Berlin e.V.: Verein der bau-wütigen Kaufleute und Industriellen
Der Verein Neue Wege für Berlin e.V. gründete sich am 28.06.2019 und stellt sich seither als Sprachrohr der Zivilgesellschaft dar – dahinter stecken aber bau-wütige Kaufleute. Um bei dem Verein dabei zu sein, gibt es einen jährlichen Mitgliedsbeitrag in Höhe von 250 Euro, bei einem Eröffnungsdinner haben einige ihren Beitrag auf 3.000 Euro angehoben [1]. Hinter ihrem Aufruf „Tabus“ oder „Denkverbote“ zu ignorieren, wollen sie geschützte und gemeinschaftliche Flächen bebauen und stellen dies als „ökologische Alternative“ (Punkt 3 ihrer Forderung) dar [2]. Ihr Hauptanliegen besteht nicht darin, Alternativen zu bieten, sondern das Bild der Immobilienbranche zu verbessern und möglichst viel Rendite aus den Bebauungen zu erlangen. Weder Veränderungen noch Lösungen werden hier geboten!
Die Frage stellt sich, wer so engagiert unsere Zukunft planen möchte?
Die bisherige Struktur des Vereins zeigt, dass es ein elitäres Projekt ist, in dem gut Verdienende (siehe Rückseite) in hohen Positionen ihre Klientel vertreten wollen [3]. Mit der Erstellung einer Volksinitiative wollen sie eher ein Bild der Beteiligung fördern.
Wir stellen fest:
Der Mitgliedsbeitrag spricht schon gegen ein Gemeinnütziges und vielfältiges Engagement aus der Gesellschaft heraus! Weiter rufen sie in ihrem Newsletter (06.11.2019) auf, Unterschriftenlisten an Mitarbeiter*innen ihrer Unternehmen zu senden. Für uns steht fest: Einflussreiche planen nicht für einen wohltätigen Zweck, sondern um auch am Wohnungsmarkt mitzumischen und dort teure Objekte zu fördern.
Oder wie es in der Berliner Zeitung formuliert wird: „Deswegen haben hochrangige Unternehmer rund um den Verein Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI) […] den Verein „Neue Wege für Berlin“ gegründet“ [4].
Der Vorsitzende Kretschmer bezeichnet die Debatten um Enteignung und Mietendeckel, die von tatsächlichen sozialen Bewegungen getragen werden und die Forderungen von vielen Berliner*innen darstellen, als politische „Sackgasse“ [5]. Alternativen bietet der Verein dabei nicht, sie konzentrieren sich lediglich auf das Anprangern und Abbauen von geschützten Flächen. Dies stellt für uns keinen Lösungsansatz dar und wird ein weiteres Mal zur Diffamierung aktueller Debatten für bezahlbaren Wohnraum benutzt. Vielmehr stellt sich der Verein gegen die durch vorherige Volksentscheide bzw. Volksinitiativen geschützte Flächen.
Wohnraum bleibt weiterhin eine Ware, damit ist es weder ein soziales noch ein förderwürdiges Projekt!
Haben sie bisher sinnvolle Beispiele eingebracht?
Nein. Als Beispiele für die Bebauung werden bisher die Randbebauung des Tempelhofer Feldes und das Bebauen der Bürgerstadt Buch genannt. Erstes ist durch einen Volksentscheid geschützt und eine wichtige Fläche für das Stadtklima und für unkommerzielle Freizeitaktivitäten. Zweiteres beinhaltet ausgewiesene Landschaftsschutzgebiete in Pankow und ausgewiesene Gewerbeflächen. Der Bezirksbürgermeister Sören Benn (Die Linke) bezeichnet dies bereits schon als „Scheinlösung“, aber auch Christian Gräff (wohnungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus), fasst es als „kaum zu realisieren“ zusammen [6].
Zusammenfassend möchte der Verein Natur und Erholungsflächen für ihr Dogma der „schnellen Lösungen“ nutzen und sich als zivilgesellschaftliche Initiative profilieren. Stattdessen geht es, wie es der Vize-Vorsitzende ausdrückt, um legitime Quellen Rendite zu erwirtschaften [7]. Ökologisch und sozial verantwortliches Verhalten sieht anders aus. Weiter lässt sich die Frage stellen, welche Gemeinnützigkeit hinter den Forderungen steckt, wenn wir wirtschafsverbundene beziehungsweise nahe Personen entscheiden lassen? Interesse besteht, laut ihren Aussagen, nicht an Nachbar*innenschaft, Erholung oder Naturflächen, sondern an der Verbesserung des Images der Bau- und Immobilienwirtschaft. In dieser sind ihre Mitglieder teilweise wirtschaftlichen tätig und haben ein großes Eigeninteresse an einfachen Bebauungen.
Quellen:
[1] https://www.berliner-zeitung.de/berlin/-neue-wege-fuer-berlin—aufruhr-der-unternehmer-32768036,
27.06.2019
[2] https://taz.de/Neue-Volksinitiative/!5603428/ , 28.06.2019
[3] https://www.immobilien-zeitung.de/153820/emotionen-und-slogans-statt-argumente, 07.11.2019
[4] https://www.berliner-zeitung.de/berlin/-neue-wege-fuer-berlin—aufruhr-der-unternehmer-32768036,
27.06.2019
[5] https://www.morgenpost.de/berlin/article227355243/Mietendeckel-in-Berlin-Sprengsaetze-in-der-
sozialen-Situation-der-Stadt.html, 14.10.2019
[6] https://www.tagesspiegel.de/berlin/erstaunlich-unserioes-streit-um-die-buergerstadt-buch/24483298.html,
22.06.2019
[7] https://archiv.berliner-zeitung.de/berlin/ueber-enteignungen-und-die-deutsche-wohnen—wir-muessen-
bauen–bauen–bauen–31890188, 17.01.2019
Ein Blick in Vorstand und zu Unterstützer*innen zeigt:
Aktiv im Verein sind Personen, die der Wirtschaft nahe stehen, in politischen Parteien organisiert sind, die in Wohnfragen nicht durch Mieter*innen-Freundlichkeit glänzen oder begründet durch ihre eigenen wirtschaftlichen Tätigkeiten Eigeninteressen verfolgen.
Vorsitzender:
Heiko Kretschmer, SPD-Mitglied und Unternehmer
Stellvertretende Vorsitzende:
Udo Marin, CDU-Mitglied, Geschäftsführer Vereins Berliner Kaufleute und Industrielle
Sandra von Münster, FDP-Politikerin und Rechtsanwältin
Peter Kurth, ehemaliger CDU-Finanzsenator, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft
Stefan Münzer, SPD-Mitglied, Geschäftsführer einer Beratungsgesellschaft (JSK Berlin)
Bisher prominente Mitglieder:
Wolfgang Branoner, CDU-Wirtschaftssenator
Frank Bielka, ehemaliger SPD-Finanzstaatssekretär
Vera Gäde-Butzlaff, Vivantes-Aufsichtsratschefin
Unterstützer*innen, die bisher in Erscheinung getreten sind (u.a. durch Presse):
Jan Eder, Hauptgeschäftsführer der IHK Berlin
Jörn von der Lieth, Geschäftsführer der evangelischen Hilfswerksiedlung
Jan Dreher, Kaufmännischer Vorstand des Evangelischen Diakonievereins Berlin-Zehlendorf
Markus Voigt, VBKI-Präsident und Betreiber eines Bauingenieurbüros
Download des Flyer als PDF-Datei Neue Wege – alter Scheiß
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