Die derzeitige Politik von R2G: Gegen Bewohner*innen und für Spekulant*innen
Absurder Karstadt-Deal, noch ein Skandal im „Neukölln-Komplex“ und brutale Räumung der Kiezkneipe Syndikat.
Ein Statement diverser Initiativen und Aufruf zur Kundgebung am 2.9. 2020 am Hermannplatz
22.08.2020
Vor vier Jahren gab es große Erwartungen an eine Rot-Rot-Grüne Landesregierung, aber auch Skepsis, denn der Ausverkauf des landeseigenen Wohnungsbestandes durch SPD und Linke in den 2000er Jahren oder der jahrzehntelange Fokus grüner Berliner Politik auf (besitz-)bürgerliche Belange bedrohen bis heute viele Existenzen spürbar. Heute lässt sich sagen: Vieles lief in den vier Jahren von R2G schleppend und einiges gewaltig falsch. Sie geben vor, eine alternativlose Regierung für eine vielfältige Gesellschaft zu sein, und tanzen trotzdem oftmals nach den Pfeifen von Superreichen und extremen Rechten. Die Heuchelei erreichte einen traurigen Höhepunkt in der ersten Augustwoche 2020. Die Koalition positionierte sich Anfang des Monats entschieden gegen Solidarität, gegen die Zivilgesellschaft und Zivilcourage, gegen linke Räume und migrantische / migrantisierte Communities sowie gegen das Recht auf Stadt.
Ein Schlag ins Gesicht für die Zivilgesellschaft
In den Tagen vom 3. bis 7. August zeigte die Koalition, wie sie politische Entscheidungen unter Druck von großen Konzernen trifft – gegen Forderungen aus der Zivilgesellschaft, gegen Sachkompetenz und gegen die eigenen politischen Ziele!
Am Montag unterzeichneten der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD), Bürgermeisterin Ramona Pop (Grüne) und Bürgermeister Klaus Lederer (Linke) eine Absichtserklärung mit dem österreichischen Milliardenkonzern Signa Holding – ein Immobilien- und Handelsunternehmen von René Benko. Benko ist mutmaßlicher Großspender an die extrem rechte FPÖ und im Aufsichtsrat der Signa sitzt eine Spitzenpolitikerin derselben Partei. Die Politiker*innen handelten mit Signa einen temporären Arbeitsplatzerhalt in drei Karstadt-/Kaufhof-Filialen gegen drei langfristig zerstörerische Immobilienprojekte aus. Signa wurde damit grünes Licht gegeben für noch mehr Verdrängung, Gewerbesterben und gesellschaftliche Spaltung am Hermannplatz. Dort will der Konzern das denkmalgeschützte Karstadt-Gebäude abreißen und eine Fassadenrekonstruktion des Baus von 1929 wiedererrichten. Dagegen entwickelte sich bereits vor einem Jahr ein breiter Widerstand – in der Zivilgesellschaft wie auch in der Bezirkspolitik. Die drei Bürgermeister*innen handeln über die Köpfe dieser direkt betroffenen Menschen in Kreuzberg und Neukölln hinweg, wenn sie ihnen lokale Belange aus der Hand reißen, um einem Immobilienprojekt autoritär zur Umsetzung zu verhelfen.
Die Absichtserklärung und Kopplung von begrenztem Arbeitsplatzerhalt und Bauzusage ist rechtlich fragwürdig. Die Zivilgesellschaft und beide Stadtentwicklungsämter in Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln haben sich klar und deutlich gegen das Projekt ausgesprochen. Die Sorge, der Ärger und die Empörung über diesen Deal bei Nachbar*innen ebenso wie in den grünen und linken Fraktionen werden immer stärker.
Wir fordern die Abgeordneten der Rot-Rot-Grünen Koalition und insbesondere den neuen Senator für Stadtentwicklung und Wohnen Sebastian Scheel auf, das Signa-Projekt am Hermannplatz zu stoppen und die unverbindliche, rechtlich fragwürdige Absichtserklärung aufzulösen! Wir fordern, dass der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg weiterhin planungsbefugte Instanz für das Vorhaben am Hermannplatz bleibt! Wir fordern die Einhaltung des Denkmalschutzes des Ensembles samt Nachkriegsbau! Wir fordern, dass die Pläne von Signa endlich in den Müll wandern!
Am Mittwoch der ersten Augustwoche wurde bekannt, dass die Generalstaatsanwaltschaft die Ermittlungen zum „Neukölln-Komplex“ an sich gezogen hat. Der Leiter der Staatsschutzabteilung und der zu der rechtsextremen Anschlagsserie in Berlin Neukölln ermittelnde leitende Staatsanwalt wurden wegen mutmaßlicher Befangenheit abgezogen. Da es seit Jahren keine Aufklärungsbemühungen oder Ermittlungserfolge gibt, forderten Betroffene und die Zivilgesellschaft einen parlamentarischen Untersuchungssauschuss und sammelten 25.000 Unterschriften. Geschehen ist daraufhin: nichts.
Offensichtlich ist es Innensenator Geisel (SPD) wichtiger, den Neuköllner Schillerkiez belagern zu lassen, als rechte Verbindungen in der Gesellschaft, Polizei und Justiz zu bekämpfen! Denn dort waren mehr als 700 Polizist*innen, Hundestaffeln, Spezialeinheiten und Hubschrauber mehrere Tage im Einsatz, um als Gehilfen des Immobilienkonzerns Pears Global (eine britische Milliardärsfamilie, die in Berlin mithilfe eines intransparenten und steuervermeidenden Netzwerks von Briefkastenfirmen agiert) bei der Räumung der Kiezkneipe Syndikat ihren Beitrag zu leisten. Neukölln wurde tagelang zu einem Raum der staatlichen Repression; solidarische Nachbar*innen wurden drangsaliert und verhaftet und ganze Straßenzüge zu polizeilichen Sicherheitszonen erklärt, die nur von Anwohner*innen betreten werden durften. Noch immer ist die Polizeipräsenz im Kiez massiv und auch in den Tagen danach wurden Menschen verhaftet oder bekamen Platzverweise erteilt, nur weil sie vor dem Syndikat saßen. Dazu kommen verschiedene Security-Firmen, die im Haus einquartiert sind und von Beginn an gegenüber der Nachbarschaft mit rassistischen, sexistischen und homophoben Äußerungen aufgefallen sind. Dies passierte vor einem seit 2018 massiv steigenden polizeilichen Repressionsdruck gegenüber Menschen of Colour und migrantischen Gewerben in Neukölln. Neben den rassistischen, brutalen und unverhältnismäßigen Shishabar-Razzien geht die Polizei nun auch vermehrt gegen Spätis vor oder schikaniert bei Verkehrskontrollen mit Racial Profiling.
R2G macht Politik gegen linke, solidarische, migrantische Nachbarschaften
Die Botschaft ist klar: Linke und migrantische / migrantisierte Menschen und Läden werden wegdrangsaliert. Die Rot-Rot-Grüne Regierung unterstützt dieses Ausräumen der Stadt und ebnet Investoren den Weg für spekulative Geschäfte, während sie einem rechten Terrornetzwerk gegenüber tatenlos bleibt. Das unverhältnismäßige Eingreifen der Polizei gegen linke, arme und migrantische / migrantisierte Menschen sowie Räumungen und Verdrängungen auf Kosten der Allgemeinheit rufen immer wieder Unverständnis und Zorn hervor. Für wen wird hier eigentlich Politik gemacht?!
Die Koalition sollte endlich die Enteignungsdebatte öffentlich auf politischer Ebene führen, statt globalen Großkonzernen den Weg für Verdrängung und die Zerstörung unserer Kieze zu ebnen und denen Unrecht anzutun, die für eine solidarische und gerechte Stadt einstehen! Sie soll aufhören, das Verfahren des Bündnisses „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ zu verzögern! Sie soll mit den Räumungen aufhören! Sie soll aufhören, das öffentliche Interesse zugunsten von Wirtschafts- und Privatinteressen zu unterwandern!
Jede Räumung, jede polizeiliche Repression ist ein deutliches Signal an globale Investor*innen, Konzerne und Großeigentümer*innen, dass sie sich auch der Unterstützung eines Rot-Rot-Grünen Senats sicher sein können. Ein Signal auch an die Signa Holding, dass die Kritik und der Widerstand gegen ihr unsägliches Protz-Bau-Projekt am Hermannplatz unterdrückt werden wird.
In der Vereinbarung mit der Signa Holding kommen alle diese Aspekte zusammen: rechte Investor*innen gegen einen migrantischen / migrantisierten Kiez und eine Rekonstruktion aus einer Zeit kurz vor der Machtergreifung der Nazis. Ein Senat, der mit kurzfristiger Symbolpolitik unsere Kieze als Verhandlungsmasse verhökert! Das alles, obwohl die Wohn- und Gewerbemieten immer schneller ansteigen, Wohnhäuser in Einzeleigentum umgewandelt und unsere Nachbar*innen und Kiezläden immer weiter verdrängt werden. Und zwar mit Gewalt!
Die Politiker*innen Ramona Pop, Klaus Lederer und Michael Müller sind bereitwillig über jedes Stöckchen gesprungen, das Signa ihnen hingehalten hat. Der Hermannplatz liegt nun auf dem Tisch des neuen Senators für Stadtentwicklung und Wohnen Sebastian Scheel – er muss sich jetzt entscheiden, ob er nun tatsächlich verbindlich Fakten schaffen will.
Wir fordern die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen und Sebastian Scheel auf, Gesicht und Rückgrat zu zeigen: gegen ausbeuterische Investor*innen und Konzerne, gegen die Verdrängung von linken und migrantisierten Communities aus Kreuzberg und Neukölln – und somit stadtpolitisch das zu tun, was dem Innensenator offensichtlich fern liegt: migrantisierte, linke, solidarische Kieze und Projekte zu schützen sowie Nazis und Konzernen (insbesondere solchen wie Signa mit Beziehungen zur extremen Rechten) die rote Karte zu zeigen.
Wir fordern eine Politik für Bewohner*innen statt für Spekulant*innen!
Am 2. September 2020wird Signa um 12:00 Uhr im Abgeordnetenhaus angehört. Wir rufen am gleichen Tag zu einer Kundgebung um 19 Uhr am Hermannplatz auf!
Signa raus! Hermannplatz bleibt Kiez! Wir bleiben alle!
Investor*innen-Rausschmiss statt Karstadt-Abriss!
Vergesellschaftung statt Massenkündigung!
Kiezutopie statt Fassaden-Kopie!
Klimaschutz statt Baustellenschmutz!
Schluss mit Razzienschikane und Racial Profiling!
Keine Kriminalisierung linker und selbstverwalteter Projekte!
Keine Räumungen mehr! Schafft 2,3 viele neue Syndikate! Für selbstbestimmte Freiräume statt einer Stadt der Reichen!
Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne und Kaufhäuser!
Erstunterzeichner*innen:
Initiative Hermannplatz
Kunstblock & beyond
Syndikat-Kollektiv
OraNostra
Bizim Kiez
Kotti & Co
Deutsche Wohnen & Co enteignen!
Initiative Kein Generalverdacht
Buchhandlung Kisch & Co.
Im Dissens? & Soft Soil / Arbeitsgruppen nGbK
„Wir sind viele“ – Nachbarschaftsinitiative Schillerkiez
Glogauer 6 Bleibt. Ateliergemeinschaft
23 Häuser sagen NEIN
Vernetzung der Akelius-Mieter*innen
Stadtteilbüro Friedrichshain
Coalition of Cultural Workers Against the Humboldt Forum
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GloReiche Nachbarschaft
Neukölln Watch
Ferat Kocak
Stadtteilinitiative WEM GEHÖRT KREUZBERG
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