Konflikte sind hausgemacht – Massenunterkunft in Tempelhofer Hangars ist unverantwortlich
30.11.2015: Pressemitteilung Flüchtlingsrat Berlin zu den gewalttätigen Auseinandersetzungen in den Tempelhofer Hangars
Wohl aus sachfremden Motiven – als Revanche für die Niederlage beim Volksentscheid? – ließ Bürgermeister Müller als Herzstück seines „9-Punkte Plans“ zur Flüchtlingspolitik in Berlin(1) ein riesiges Massenlager für Geflüchtete in den Tempelhofer Flugzeughangars installieren. 2300 Menschen, darunter 800 Minderjährige, müssen seit Wochen unter menschenunwürdigen Bedingungen in drei großen Hallen auf allerengstem Raum zusammenleben, geplant ist das Lager für bis zu 12.000 Menschen. Dass eine solche extrem beengte und völlig unzureichend ausgestattete Massenunterkunft Aggressionen fördert, war absehbar.
Aus Sicht des Flüchtlingsrats trägt der Senat die Verantwortung für die gestrigen Auseinandersetzungen unter den BewohnerInnen der Unterkunft. Das Projekt Massenunterkunft in den von vornherein ungeeigneten Tempelhofer Hangars ist als gescheitert anzusehen.
Vor einer Woche konnte der Flüchtlingsrat sich selbst vor Ort ein Bild machen, vgl. dazu unseren Bericht.(2) Der Betrieb der Unterkunft verstößt gegen einschlägige Rechtsvorschriften und Qualitätsstandards(3). Baurechtliche brandschutzrechtliche, hygiene- und gesundheitsrechtliche Mindestanforderungen sowie schulrechtliche Vorschriften werden nicht eingehalten:
statt gemäß § 7 Berliner Bau- und Wohnungsaufsichtsgesetz und den daran angelehnten Lageso-Qualitätsstandards für Flüchtlingsunterkünfte mindestens 6 bis 9 m2 /Person stehen in den Hangars nur 1,5 bis 2 m2/Person zur Verfügung,(4)
die Zelte in Hangar 1 sind brandschutzrechtlich unzulässig,
statt ausreichender Sanitäranlagen gibt es lediglich Dixie-Klos ohne Möglichkeit zum Händewaschen, Duschen fehlen ganz, ebenso die Möglichkeit, Wäsche zu waschen,
von den 800 minderjährigen BewohnerInnen geht kein Kind zur Schule oder Kita.
Das Leitungswasser ist nicht freigegeben. Mangels Alternative waschen sich die BewohnerInnen die Hände an den Kunststoff-Trinkwasserbehältern. Die Versorgung mit Wasser, Abwasser, Strom und Heizung ist im nötigen Umfang nicht vorhanden und wohl auch nicht herstellbar, ebensowenig eine feste bauliche Abtrennung separater Wohneinheiten. Der Denkmalschutz verbietet offenbar eine menschenwürdige Herrichtung, es heißt man dürfe „nichtmal einen Nagel in die Wand schlagen“. Es gibt keine Möglichkeit, Privates aufzubewahren, Spinde oder Schränke fehlen.
Eine angemessene Behandlung Kranker ist in der Unterkunft aufgrund der mangelhaften Sanitäranlagen und fehlender separater Unterbringungsmöglichkeiten nicht gewährleistet. Die fehlenden Möglichkeiten zur Körperhygiene befördern die Verbreitung viraler Durchfallerkrankungen. Bei hohem Stress- und Lärmpegel können die Geflüchteten nachts kaum schlafen. Die zuständige Amtsärztin und die Tempelhofer Sozial- und Gesundheitsstadträtin haben auf die unzumutbaren Zustände hingewiesen. Die mangelnde Hygiene und Gesundheitsversorgung in der Unterkunft seien medizinisch unverantwortlich.(5) Hinzu kommt, dass der Mehrzahl der Menschen in der Unterkunft die ihnen zustehenden Krankenbehandlungsscheine (§ 4 AsylbLG) ebenso wie der Bargeldbetrag für den persönlichen Bedarf (§ 3 AsylbLG) vom LAGeSo rechtswidrig vorenthalten werden.
„Dass die massenweise Unterbringung auf allerengstem Raum bei fehlender Privatsphäre, unzureichender Sanitäranlagen, faktischem Schlafentzug und mangelnder Perspektive – niemand weiß, wie lange er in den Hangars bleiben muss, und wann sein Asylantrag registriert und geprüft werden wird – Aggressionen befördert, war vorhersehbar. Die Behauptung des Senats, dass die Menschen nur 14 Tage dort bleiben müssten, ist falsch: Viele Geflüchtete haben nach zwei bis vier Wochen Aufenthaltes für einen weiteren Monat eine Zuweisung in die Hangars erhalten“, sagt Georg Classen, Sprecher des Flüchtlingsrats Berlin.„Wir fordern den Berliner Senat auf, die Flüchtlinge wie Menschen zu behandeln, und die menschenunwürdige und unverantwortliche Massenunterkunft Tempelhof umgehend zu schließen.“
Um der aktuellen Unterbringungsnotlage gerecht zu werden, sind stattdessen folgende Sofortmaßnahmen nötig:
Es müssen die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, um unverzüglich illegale Ferienwohnungen und zu Spekulationszwecken leerstehende Wohn- und Gewerbegebäude für die Unterbringung Geflüchteter zu beschlagnahmen.
Die zu Abschreckungszwecken praktizierte Einweisung in Lager und Umverteilung in andere Bundesländer trotz ggf. vorhandenen privaten Wohnraums in Berlin ist sofort zu stoppen.
Das private Wohnen und die Anmietung von Wohnungen sind umfassend zu legalisieren und zu fördern. Dazu gehören eine Sofortprüfung von Wohnungsangeboten und Untermietverträgen durch die zuständigen Sozialbehörden, die Ausstellung von Mietübernahmegarantiescheinen zur Wohnungssuche durch die Sozialbehörden von Amts wegen, die Anhebung der sozialrechtlichen Mietobergrenzen, die Aufhebung des in Berlin geltenden Verbotes für Asylsuchende, in Sozialwohnungen zu leben, die Wiedereinführung von Belegungsrechten, sowie ein Bauprogramm für mindestens 50.000 dauerhaft sozial gebundene Wohnungen pro Jahr in Berlin.
Es kann nicht sein, das Vermieter, die Geflüchteten eine Wohnung anbieten, sechs Wochen warten müssen, bis das LAGeSo das Mietangebot geprüft hat, und dass an sich passende Wohnungsangebote aus fadenscheinigen Gründen („keine Spüle in der Küche“) abgelehnt werden.
Der Flüchtlingsrat hat dem Senat dazu beim „Runden Tisch Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen“ im Mai 2015 umfangreiche Vorschläge vorgelegt. Bis heute hat der Berliner Senat nichts davon umgesetzt.(6)
Pressekontakt: Anfragen bitte per E-Mail an buero@fluechtlingsrat-berlin.de oder ab 14 Uhr an 030-243445762.
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(1) LAGeSo Berlin, 01.06.2015, Qualitätsanforderungen für vertragsgebundene Unterkünfte,
(2) Berliner Zeitung 12.11.2015: Ein Paukenschlag im Abgeordnetenhaus
(3) Flüchtlingsrat 20.11.2015: Dauerhaft ungeeignet und menschenunwürdig: Die Notunterkunft in den Tempelhofer Hangars
(4) TAZ 02.11.2015 „Es wird eng in Tempelhof“
(5) Stadträtin Sybill Klotz, 18.11.2015, Antwort an die BVV Tempelhof-Schöneberg auf die Große Anfrage „Medizinische Versorgung und sanitäre, hygienische Situation in den Notunterkünften für Flüchtlinge“
(6) Flüchtlingsrat Berlin 21.05.2015: Sofortmaßnahmen Wohnungen für Flüchtlinge
URL: http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/print_neue_meldungen2.php?post_id=740
auch lesenswert: Bericht vom 20.11.2015
Dauerhaft ungeeignet und menschenunwürdig:Die Notunterkunft in den Tempelhofer Hangars