Am Montag, den 3. März 2014 lädt das Mietenbündnis Neukölln zu seiner Zweiten Großen Veranstaltung ein. Sie findet statt in der Richard-Grundschule am Richardplatz 14, 12055 Berlin, von 19 bis 21 Uhr. Gefragt wird “ Was kann der Bezirk tun?“ und eine der Forderungen ist die nach dem Milieuschutz. Damit beschäftigt sich der folgende Text, der in der im Januar 2014 erschienenen 10. Ausgabe der „RandNotizen“ abgedruckt worden ist.
Kann Milieuschutz den von Mietsteigerungen betroffenen Neuköllner_innen helfen?
Was tun gegen steigende Mieten? Diese Frage stellt sich in vielen Berliner Stadtteilen, die noch vor Kurzem als günstig galten. Denn dort geraten, wie z.B. in Nord-Neukölln, besonders viele Mieter_innen mit kleinen Einkommen unter Druck. Immer häufiger fällt in diesem Zusammenhang das Stichwort Milieuschutz. Von den einen wird es als wirksames Instrument gegen soziale Verdrängung angepriesen und herbeigesehnt, andere bezeichnen es als Papiertiger ohne jeden Biss. Warum beide Beurteilungen richtig sind und was ein Milieuschutz für Nord-Neukölln bringen könnte, soll im Folgenden geklärt werden.
Zunächst aber zur Frage, was Milieuschutz überhaupt ist. Als „Soziale Erhaltungsverordnung“ steht er im Baugesetzbuch. Das ist nicht ganz unwichtig, denn Milieuschutz hat nichts mit dem Mietrecht zu tun, sondern ist ein Instrument der städtebaulichen Planung. Wenn ein Stadtteil mit einer bestimmten öffentlichen Infrastruktur, also Schulen, Kitas, Spielplätzen, Jugend- und Senioren_innenklubs, aber auch mit U-Bahnhöfen und Buslinien versorgt ist, so hat die Stadt ein Interesse, dass diese Ausstattung auch benutzt wird. Wenn nun aber, nur mal angenommen, lauter gut verdienende kinderlose und Auto fahrende Mittvierziger_innen in dieses Gebiet ziehen und dort die bisherige Bevölkerung verdrängen, dann steht diese Infrastruktur ungenutzt herum und muss dort neu aufgebaut werden, wo sie neuerdings benötigt wird.Dieses zu verhindern und der Erhalt der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung, sind Ziele des Milieuschutzes.
Wenn ein Berliner Bezirk ein Milieuschutzgebiet einrichtet, dann gelten dort bestimmte Regeln. Für jede Baumaßnahme an Wohngebäuden und jede Nutzungsänderung bei Wohnungen ist nun eine bezirkliche Genehmigung erforderlich. Luxusmodernisierungen oder die Vernichtung von Wohnraum kann der Bezirk verhindern. So ist es z.B. üblich, gegen das Verlegen von Parkett, den Anbau eines zweiten oder eines besonders großen Balkons, ein Gäste-WC, den Umbau zu Maisonettewohnungen oder die Zusammenlegung kleiner Wohnungen vorzugehen, ebenso bei der Umwandlung in Gewerberaum. Die Regeln sind von Bezirk zu Bezirk unterschiedlich.
Die Tragik des Milieuschutzes besteht aber darin, dass die Bezirke keine Handhabe gegen eine Modernisierung von Wohnungen auf einen sogenannten „zeitgemäßen Standard“ haben. Neue Heizung, neues Bad, neue Fenster, Wärmedämmung des Hauses gehören z.B. dazu, vielleicht auch der Anbau eines Aufzugs. Diese „nomalen“ Modernisierungen führen bereits zu beträchtlichen Mietsteigerungen, da die Modernisierungskosten auf die Miete umgelegt werden dürfen. Zwei oder drei Euro Mietaufschlag pro Quadratmeter sind üblich, ohne dass der Milieuschutz eingreifen kann, häufig auch noch mehr. Die Mieter_innen mit den kleinen Einkommen, die der Milieuschutz eigentlich im Kiez bewahren soll, können sich die Wohnung nach einer „zeitgemäßen“ Modernisierung in der Regel schon nicht mehr leisten. Die Verhinderung von Luxusmodernisierungen kann also am ehesten noch der unteren Mittelschicht helfen, nicht von Besserverdienenden verdrängt zu werden. Und hier stellt sich die Frage, ob Nord-Neukölln an solch einem Punkt ist, wo die steigenden Mieten zu einem beträchtlichen Anteil von – per Milieuschutz vermeidbaren – Luxusmodernisierungen ausgehen. Wenn die Mieten einfach aufgrund von Wohnungsknappheit (und nicht wegen der Aufwertung eines Viertels) steigen, wenn besonders die kleinen, günstigen (und schlecht ausgestatteten) Wohnungen knapp sind und daher überdurchschnittlich teuer werden, dann kann das Instrument Milieuschutz herzlich wenig ausrichten.
Warum lohnt aber dennoch eine Beschäftigung mit dem Thema Milieuschutz? Nun, zunächst kann er den betroffenen Mieter_innen auf die Sprünge helfen, damit diese die mietrechtlichen Mittel ausnutzen und den Eigentümer_innen das Aufwertungshandwerk schwer machen. Aufgrund der Genehmigungspflicht sollte das Bezirksamt frühzeitig von allen geplanten Modernisierungen erfahren. Es kann die betroffenen Mieter_innen zusammenbringen und darüber informieren, welche mietrechtlichen Knüppel sie den Eigentümer_innen zwischen die Beine werfen können, um die Modernisierung zu erschweren, zu verzögern und um die Vermieter_innen zu Verhandlungen zu bewegen. Der Milieuschutz kann also dabei helfen, dass die Mieter_innen sich zusammentun und organisieren, bevor die erste Modernisierungsankündigung in die Briefkästen flattert.
Die wichtigste Waffe, die dem Milieuschutz in den 1990er Jahren zur Verfügung stand, existiert leider nicht mehr, da sie von Gerichten für unwirksam erklärt wurde. Damals waren in Milieuschutzgebieten Mietobergrenzen festgelegt worden, die im Fall einer Modernisierung wirksam wurden. Es gibt aber zwei weitere Möglichkeiten, nämlich die Verhinderung der Umwandlung in Eigentumswohnungen und ein städtisches Vorkaufsrecht zur Abwehr überteuerter Modernisierungen. Beide werden in Berlin bislang nicht angewandt, was den Ruf des Milieuschutzes als zahnloser Tiger begründet. Das hindert manche Bezirkspolitiker allerdings nicht daran, sich mit dem Luftnummer-Instrument zu brüsten und den Eindruck zu vermitteln, es würde sich um die Belange der Mieter_innen gekümmert.
Etwas anders sieht es hingegen in Hamburg oder München aus. In Hamburg gibt es eine von der Landesregierung erlassene Umwandlungsverordnung, die es den Bezirken erlaubt, in Milieuschutzgebieten gegen eine Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen vorzugehen. Damit werden dort die Wohnungsbestände für bestimmte Immobilienverwerter, die sich auf Umwandlungen spezialisiert haben und als eine Art Durchlauferhitzer der Aufwertung gelten, uninteressant gemacht. Der Prozess der Aufwertung und der steigenden Mieten kann so im Viertel verlangsamt werden.
Das Vorkaufsrecht wird in Hamburg und München von der Stadt ausgeübt. Wird ein Mietshaus an Immobilienentwickler_innen verkauft, die bereits durch mietpreistreibende und Mieter_innen verdrängende Modernisierungen aufgefallen sind, so kann die Stadt in den Kaufvertrag eintreten und das Haus übernehmen – muss aber auch den vereinbarten Kaufpreis dafür zahlen. Anschließend kann das Haus an eine städtische Wohnungsgesellschaft oder an eine Genossenschaft übertragen werden, unter Auflage einer sozialverträglichen Bewirtschaftung. Das Ziel des Vorkaufsrechts ist allerdings nicht, möglichst viele Häuser zu übernehmen, sondern ein Drohpotenzial gegenüber den Hauskäufer_innen zu haben und sozialverträgliche Modernisierungen zu vereinbaren. Auf diesem Wege können individuell auch Mietpreisdeckelungen durchgesetzt werden – eine Art Wiedereinführung der abgeschafften Mietobergrenze durch die Hintertür? Dieses Instrument scheint jedoch den Trend zu steigenden Mieten in den Städten trotzdem kaum begrenzen zu können. Gerade München und Hamburg weisen nicht nur sehr niedrige Leerstände bei Wohnungen auf, sondern gehören in Deutschland zu den Städten, die extreme Mietsteigerungen aufweisen. (Mietsteigerung seit 2007: Hamburg 21,1 Prozent, München 14,7 Prozent / in der Rangliste der Städte mit den höchsten Mietsteigerungen steht Hamburg auf Platz 1, München auf Platz 6 und Berlin steht auf Platz 2 / örtliche Durchnittsmiete Hamburg 7,39 Euro pro qm, München 9,74 Euro pro qm / durchschnittliche Forderung bei Neuvermietung 2012 Hamburg 9,20 Euro pro qm, München 12,50 Euro pro qm)
Nur, selbst wenn sich der Berliner Senat eines Tages dazu bewegen ließe, Umwandlungsverordnung und Vorkaufsrecht einzuführen – und selbst wenn er dafür auch die benötigten finanziellen und personellen Mittel zur Verfügung stellte: Welchen Nutzen hätte all dies in Neukölln? In einem Bezirk in dem Buschkowsky und Konsorten seit über 15 Jahren und ungebrochen auf Aufwertung dringen? In dem stets die Interessen der Mittelschicht das Maß der Politik sind und die Verdrängung, der von Armut Betroffenen das Kalkül der Politik darstellt? Aus anderen Bezirken ist bereits klar geworden, dass nur ein Milieuschutz wirkungsvoll sein kann, der vonseiten des Bezirksamts mit großem Engagement und politischem Willen zur Verhinderung von steigenden Mieten eingesetzt wird. In Neukölln ist dies schlichtweg nicht vorstellbar. Milieuschutz wäre hier dazu verdammt, als Aushängeschild der Bezirkspolitik Mieter_innenfreundlichkeit zu suggerieren, ohne etwas zu bewirken. Damit wäre er sogar kontraproduktiv, drohte er doch dem Ruf nach Mieter_innenschutz den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Und so hängen eine sozial orientierte Mieter_innenbewegung und der Kampf gegen die sozialchauvinistische Neuköllner Bezirkspolitik wieder einmal direkt zusammen. So sehr wir uns auch Mittel zum Schutz der Mieter_innen mit kleinem Geldbeutel wünschen: Solange es im Bezirk salonfähig und Ziel der Bezirkspolitik ist, die von Armut Betroffenen zu bekämpfen, statt sie zu unterstützen, solange wird auch ein Milieuschutz hier kein hilfreiches Instrument für die dem Wohnungsmarkt ausgelieferten Mieter_innen sein. Es bleibt an uns, an einem Stimmungswandel zu arbeiten…
entnommen aus: RandNotizen 10 , Januar 2014
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