Warum die soziale Durchmischung z.B. in Zehlendorf oder im Grunewald keine Rolle spielt.
Ob mensch die Tageszeitung aufschlägt, das Berliner Radio hört, oder irgendwo eine_n der angeblichen VolksvertreterInnen quatschen hört: geht es um Berliner Stadtviertel und die Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt, fällt meist im Laufe der Zeit der Begriff „soziale Mischung“. Die Idee einer Mischung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen, mensch könnte auch Klassen sagen, innerhalb eines Stadtviertels hat eine lange Geschichte.
Die rasante Verstädterung in der frühen Phase des Kapitalismus machte damals bereits einige Menschen auf die Auswirkungen der starken Konzentration der unteren Klassen in bestimmten Stadtviertel aufmerksam. Sie befürchteten wegen der miserablen Wohnverhältnisse Seuchen, Epidemien, und vor allem soziale Revolutionen und Revolten. Das Ziel, diese Gefahren für die herrschende Ordnung zu überwinden, sollte mit Hilfe der Integration der ArbeiterInnenklasse erreicht werden. Die unkontrollierbaren Nachbarschaften sollten aufgelöst werden.
Der königliche Stadtplaner James Hobrecht, der für die Erweiterung Berlins zuständig war, verfolgte als einer der ersten in seinem Bebauungsplan von 1863 das Ziel der sozialen Mischung konkret. Er wollte dieses Ziel weniger mit repressiven Mitteln erreichen, wie es zu seiner Zeit üblich war, sondern mit bautechnischen Maßnahmen. Er wollte es möglich machen, dass Menschen verschiedener Klassen in denselben Häusern Wohnungen finden können. Für ihn hieß dies jedoch, dass die Armen im Keller wohnen sollten. Die Visionen von Hobrecht sind aber zum Großteil Visionen geblieben, und an dem Elend der Armen hätten sie ohnehin nichts ändern können oder wollen.
Die Ideen von Hobrecht blieben aber erhalten und wurden in den 1960er Jahren der BRD wieder auf die Tagesordnung der Stadtpolitik gesetzt. Mittlerweile ging es darum, Stadtviertel so zu verändern, dass die Struktur der BewohnerInnen dem Berliner Durchschnitt entspricht. Es ging nicht mehr um visionäre Ziele und positive Folgen einer sozialen Mischung, wie das bei James Hobrecht noch der Fall war, sondern soziale Mischung wurde selbst zum Mittel und Zweck der Stadtplanung. Nachdem in dieser Zeit dieselben Probleme auftauchten, mit denen wir auch heute noch konfrontiert werden ( Verarmung in Folge steigender Mietkosten, und die Zerstörung langfristig entstandener Beziehungen), gab es in den 70er und 80er Jahren eine kurze Phase, in der versucht wurde die Struktur der KiezbewohnerInnen zu erhalten. Kurze Zeit später, in den 90er Jahren, änderte sich das aber im Zuge der Privatisierung und Ökonominierung der Stadtpolitik bereits wieder.
Im Zuge der Aufrüstung des strafenden und ordnenden Staates galten Viertel mit einer hohen Konzentration an Armut als gefährlich, und der Trend einer Abwärtsspirale wurde vorausgesagt, da es den dort Lebenden an „positiven Rollenbildern“ mangeln würde. In solchen Diskussionen werden wohlhabende Menschen häufig als „stabilisierende Bevölkerungsgruppen“ bezeichnet, die die „gefährdeten“ und „gefährlichen“ Kieze befrieden sollen. Im Sinne dieser sozialchauvinistischen Behauptungen, wird das Konzept der „sozialen Mischung“ seitdem angewandt. Nie geht es in den Diskussionen darum, an den Lebensbedingungen der verarmten BerlinerInnen etwas zu verändern. Ziel, Mittel und Strategie ist immer die Verdrängung eines Teils der AnwohnerInnen (letztlich häufig fast aller) und die Bereitstellung des Raums für Besserverdienende, die von den Herrschenden nicht nur für profitabler sondern schlicht und einfach für besser gehalten werden.
Derartige Überzeugungen machen auch zwischen den Parteigrenzen nicht halt. Petra Hildebrandt, die für die Neuköllner SPD im Abgeordnetenhaus sitzt, veröffentlichte im Namen ihrer Partei noch 2010 eine Stellungnahme in der behauptet wird: „Anzeichen einer Gentrifizierung lassen sich also weder im Reuterkiez noch in ganz Neukölln ausmachen.“ Dass sie selbst nicht sehen wollen, was nicht sein darf, hindert sie nicht daran, selbst für diese Entwicklung zu streiten: „Sorge besteht allerdings dahingehend, dass die sozial schwierigen Kieze im Norden Neuköllns stagnieren und es dort auf lange Sicht zu keiner Verbesserung der Situation kommen wird. Die SPD Neukölln ist daher durchaus an einer stärkeren Bevölkerungsmischung interessiert und möchte Anreize schaffen, die Nord-Neukölln auch für bürgerliche Schichten, insbesondere für Familien, attraktiv machen.“ Ende des gleichen Jahres machte Hildebrandt ihre Vorstellung für die Zukunft Neuköllns nochmal in aller Form deutlich. Auf einer Veranstaltung zu Eigentümermanagement sagte sie: „Wenn wir Durchmischung wollen, müssen eben Leute wegziehen.“
Die Berliner FDP versuchte anscheinend ein wenig radikaler zu sein, und machte staatlich geförderte Verdrängungspolitik gleich zur Gesamtberliner Parteistrategie. In einem offiziellen Antrag an das Abgeordnetenhaus fordert die FDP „den Senat auf, mit seinem Handeln im Bereich der Stadterneuerung Investitionsanreize zu schaffen und die positiven Effekte des Marktes zu unterstützen. (…). Dementsprechend ist es dringend geboten, sich auf klassische Sanierungsmaßnahmen rückzubesinnen (…) um neue Bewohner und weitere private Investitionen anzulocken.“ Das dort bereits Menschen leben, die dort vielleicht auch gerne wohnen bleiben möchten, ist abllerdings auch pfiffigen FDP nicht entgangen: „Das bestehende Mietrecht schützt dabei die dort ansässige Bevölkerung vor Verdrängung und verhindert damit die Segregation der Berliner Stadtquartiere in ausreichender Weise.“ Ob mensch bei dieser Realsatire lachen oder weinen soll, ist unklar. Und dass die FDP ausgerechnet den Kollwitzplatz im Prenzlauer Berg als positives Beispiel sozialer Mischung heranzieht, lässt wohl allen, die schon einmal dort waren, einen kalten Schauer über den Rücken laufen.
Interessanterweise hat bisher noch niemand soziale Durchmischung für Berlin-Dahlem, Zehlendorf oder Grunewald gefordert. Wenn es doch angeblich darum geht, die Bezirke an den Berliner Durchschnitt anzupassen, wieso werden dann nicht ein paar Reiche aus ihren Villen am Wannsee geschmissen, und Platz gemacht für Hartz 4 EmpfängerInnen, die wahrscheinlich bald nirgendwo mehr eine Wohnung finden können? Aber darum geht es natürlich nicht. Soziale Mischung meint vor allem eine Rückeroberung der ArbeiterInnenviertel durch die Mittelklasse. In Neukölln liegt die Arbeitslosenquote über dem Berliner Durchschnitt, in Zehlendorf, Charlottenburg und Schöneburg aber darunter.
Wenn euch soziale Mischung so am Herzen liegt, und alles dem Durchschnitt entsprechen muss, dann durchmischt zuerst eure Mittelstands- und Villenviertel, aber lasst uns mit eurem Scheiß in Ruhe!
aus der aktuellen Ausgabe Nr.7 der „RandNotizen – Stadtteilzeitung aus dem Schillerkiez“